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CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

Titel: CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martyn Bedford
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sie seinen Blick so direkt wie vorher, obwohl ihre Miene jetzt ein bisschen sanfter war. »Aber du redest doch sowieso nicht mit mir, oder? Du hast mich doch sonst auch so wenig auf dem Schirm, dass ich nicht mal auf dem Schirm von den Leuten am Rand deines Schirms bin.«
    Er grinste. »Das waren aber ganz schön viele Schirme in einem Satz.«
    Cherry rückte ihre Schultertasche zurecht und legte den Kopf schief, als könnte sie ihn aus einem anderen Winkel besser einschätzen. »Nein, tut mir leid, Philip, du machst mir echt Angst.«
    Aus irgendeinem Grund gefiel es Alex, dass sie ihn nicht Flip nannte. Sie drehte sich um und ging weg. Er sah ihr nach. Als sie verschwunden war, riss er eine Seite aus seinem Schulheft und schrieb eine Strophe eines Gedichts von Hopkins auf, die er im Gedächtnis behalten hatte, faltete das Blatt und schob es unter Cherrys Spindtür durch.
     
    Die Schule war heute weniger stressig. Einerseits war ihm das Gebäude bereits einigermaßen vertraut, andererseits kannte er einige Namen und Gesichter schon. Er stellte fest, dass Flip ziemlich beliebt war. Das war eine neue Erfahrung für Alex, aber er spürte auch, dass er als Flip   – als jemand, der beachtet wurde und dem man zuhörte   – ein Selbstvertrauen zur Schau stellte, an dem es ihm als er selbst bestimmt gemangelt hätte. Außerdem kam er mit Flips Körper immer besser zurecht: Er gewöhnte sich an diese Gliedmaßen, ans Gehen, ans Treppensteigen, ans Hinsetzen und Aufstehen. Es war wie ein Paar neue Turnschuhe, die erst drückten, sich dann aber, je öfter man sie anzog, an die Form der Füße anpassten. Am Morgen war er wieder ziemlich spät aus dem Haus gekommen und hatte die letzten hundert Meter bergauf rennen müssen   … und dabei festgestellt, dass er rennen
konnte.
Und zwar schnell. Und ohne hinterher ewig zuschnaufen und zu keuchen. So gut in Form zu sein war etwas, an das sich Alex ohne Weiteres gewöhnen konnte. Andere Aspekte des Flip-Seins brauchten eine längere Anpassungszeit. Duschen beispielsweise. Das war echt pervers.
    Alex hatte nicht mit einem weiteren Schultag auf der Litchbury High gerechnet. Aber solange er nicht genügend Geld in der Tasche hatte, um nach Hause fahren zu können, saß er hier fest. Er hatte die Nummer auf der Rückseite von Flips E C-Karte angerufen und behauptet, er habe seine PIN vergessen, woraufhin man ihm mitgeteilt hatte, dass sie ihm innerhalb von drei Tagen schriftlich zugehen würde.
    Damit konnte er frühestens am Freitag zum Geldautomaten. Fast eine ganze Schulwoche als Philip Garamond!
    Die Schule war ungefähr so groß wie seine, an die 1500   Schülerinnen und Schüler. Aber im Gegensatz zu Crokeham Hill, wo mehr als ein Drittel schwarz oder asiatisch waren, gab es hier fast nur Weiße. Und alle gehobene Mittelschicht. Weder an seinem ersten noch am zweiten Tag hatte Alex irgendwo eine Prügelei beobachtet, niemand hatte einen Lehrer beschimpft, und auf dem Klo hatte er niemanden Feuerzeugbenzin schnüffeln sehen. Im Klassenzimmer standen alle am Anfang und am Ende des Unterrichts schweigend auf; wenn jemand im Unterricht etwas sagen wollte, hob er die Hand. Alle hielten sich an die Kleidervorschriften. Die Gebäude selbst waren neuer und moderner als in seinerSchule, auch besser ausgestattet (die Räume für Bio, Chemie und Physik, der Computerraum, die Turnhalle). Es gab weder uniformierte Sicherheitsleute noch Waffenkontrollen, auch keinen Zaun rings um das Gelände, wie bei einem Militärstützpunkt. Und das Allerbeste war, dass Litchbury High eine
Bibliothek
hatte. Sogar eine richtige, mit Büchern drin   – viele Bücher, gute Bücher,
neue
Bücher   –, dazu jede Menge Computer und gleich
zwei
Bibliothekarinnen, die freundlich und hilfsbereit waren. Sie ließen Alex zwar nicht Online-Schach spielen, aber man konnte ja nicht alles haben.
    Was er allerdings hatte, war ein E-Mail -Account in der Schule und ein Passwort, das auf der ersten Seite von Flips Planer stand.
    Alex hatte die Mail schon auf dem Weg zur Schule im Kopf formuliert. Jetzt musste er sie nur noch tippen und abschicken. Sein Zusammentreffen mit Cherry an den Spinden hatte ihn aufgehalten, aber ihm blieben immer noch ein paar Minuten vor der Anwesenheitskontrolle. Er setzte sich vor einen PC in der Bibliothek, loggte sich ein und öffnete eine neue Nachricht.
     
Hallo David, fing er an. Der Abend neulich bei dir   …
     
    David. Sein bester Freund. Sein Schachkumpel. Der Mensch, den er,

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