CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
Güte, können wir nicht wenigstens versuchen, die Sache vernünftig zu besprechen? Um Philips willen.«
Sie saßen um den Esstisch, weil die Mutter fand, so sähe es »geschäftsmäßiger« aus (und weil es im Wohnzimmer nach Beagles Fürzen stank). Flips Vater hatte vorgeschlagen, sich in den Garten zu setzen, aber seine Frau hatte ihn nur angeschaut und gesagt:
Die Nachbarn!
Inzwischen waren sie bei der zweiten Kanne Kaffee und hatten die meisten Kekse aufgegessen. Nach Mrs Garamonds Ausbruch waren alle still geworden. Jeder nippte an seinem Kaffee und vermied Blickkontakt. Teri schob sich noch einen Keks zwischen die violetten Lippen.
Schließlich sagte Flips Mutter: »Weißt du, Philip, die Polizei ist der Meinung, dass du professionelle Hilfe brauchst.«
Alex sah sie an.
Eine Therapie
. »Echt?«
»Der Beamte, der die Verwarnung ausgesprochen hat,ich weiß nicht mehr, wie er hieß, hat deinen Vater und mich beiseitegenommen, als du deine Sachen geholt hast. Er meinte, wir sollten uns vielleicht nach Hilfe außerhalb der Familie umsehen. Er schien sich wirklich Sorgen um dich zu machen.«
»Immer dasselbe mit den Bullen«, sagte die Schwester. »Sie sind zu nett.«
»Sarkasmus ist genau das, was wir jetzt brauchen. Vielen Dank, Teri.«
Am Tag davor, auf dem Polizeirevier, war die Mutter zwischendurch immer wieder kurz vorm Heulen gewesen, heute hatte sie sich besser im Griff. Angst und Bestürzung waren einem forschen Pragmatismus gewichen:
Wir haben ein Problem. Na schön, lasst es uns benennen und dann lösen wir es.
Ihr Sohn würde das durchstehen. Ihre Familie würde das durchstehen. Sie war Osteopathin, wie Alex erfahren hatte, als sie sich in einer Pause der Befragung mit der Sozialarbeiterin unterhielt. Anscheinend waren Nacken und Wirbelsäule ihr Spezialgebiet. Alex stellte sich vor, dass sie das Problem anging, als wäre er einer ihrer Patienten: Sie legte ihn sozusagen bäuchlings auf den Behandlungstisch und rückte seine Knochen wieder zurecht. Was den Vater betraf, so war er auf dem Polizeirevier der Gefasstere gewesen. Heute Vormittag, wo sie wieder in den eigenen vier Wänden waren, schien es ihm recht zu sein, dass seine Frau die Führung übernahm.
Alex sah von einem zum anderen. Er hatte immer noch Mühe zu begreifen, dass die Eltern früher in derNähe von Crokeham Hill gewohnt hatten … dass er und Flip nicht nur am selben Tag, sondern im selben Krankenhaus zur Welt gekommen waren. Das war mit Sicherheit ein weiteres wichtiges Glied in der Kette der Verbindungen zwischen ihm und Philip.
»Was hältst du davon?«, fragte die Mutter jetzt.
»Wovon?«
»Von einem Therapeuten? Jemand, mit dem du über … über das Ganze sprechen kannst. Über das, was du gestern gesagt hast, darüber, dass dir alles über den Kopf gewachsen ist.«
Alex sah, wie sie an dem Untersetzer unter ihrer Kaffeetasse herumnestelte. Sie hatte noch schwarze Gartenerde unter dem Daumennagel. Einerseits hätte es ihm nichts ausgemacht, mit jemandem zu reden. Dann aber darüber, was
wirklich
passiert war: dass er eines Morgens im Körper eines anderen Jungen aufgewacht war. Über das Wachkoma und die Seele und ob er hoffen durfte, wieder in seinen eigenen Körper zurückzukehren und wie das eigentlich vonstattengehen sollte.
Darüber
hätte er sich sehr gern mit jemandem unterhalten. Aber wenn er diese Geschichte tatsächlich erzählte, konnte er sich gleich in der nächstbesten Klapsmühle anmelden, wo man ihn mit Medikamenten vollpumpen würde.
»Man muss sich nicht schämen, bloß weil man eine Therapie macht, Philip«, sagte Flips Vater. »Ich habe selbst ein paar Sitzungen in kognitiver Verhaltenstherapie gehabt, als ich nach dem Tod deiner Großmutter deprimiert war.«
»Kriegt man da Elektroschocks und so?«, fragte Teri.
Alex verkniff sich das Lachen. Der Vater schaute Teri an. »Kognitive Verhaltenstherapie«, wiederholte er, als nagelte er jedes Wort einzeln auf den Tisch, »das ist etwas Ähnliches wie Psychotherapie
.
«
Und so ging es weiter. Es bedurfte einer weiteren endlosen Diskussion, bis sie beschlossen, dass er keine Therapie machen musste, wenn er nicht wollte, dass aber jederzeit die Möglichkeit bestand, falls er seine Meinung änderte oder falls es »nötig« würde. Wichtig sei, sagte die Mutter, dass sie alle versuchten, mehr miteinander zu
reden
und einander
zuzuhören.
Wenn Philip die erforderliche Unterstützung gleich hier, in der eigenen Familie bekam, sei das besser als
Weitere Kostenlose Bücher