CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

unsereiner durchgemacht hat und in der neuen Existenz lebenslang noch durchmachen muss. Seine Tage im körperlichen Exil zu verbringen, ist eine verwirrende Reise voller Verluste und Trauer über das, was man zurückgelassen hat. Dazu kommt die Fremdheit gegenüber dem, was man dafür bekommen hat! Man hat uns von unserem eigenen Körper, unserem alten Lebenund unseren Angehörigen weggerissen und in das Leben eines anderen hineingeworfen. Ganz zu schweigen von dem schlechten Gewissen, das man der anderen Seele gegenüber empfindet, die verdrängt wurde, um unserer Seele Platz zu machen.
    Und der fürchterlichen Erkenntnis, dass es kein Zurück gibt.
    Falls dir das irgendwie bekannt vorkommt, dann herzlich willkommen. Hier bist du richtig. Du musst nicht mehr einsam und still vor dich hinleiden. Bitte hör dir unsere Geschichten an und lass uns an deiner teilhaben. Womöglich sind wir die einzige wahre Familie, die einzigen echten Freunde, die du hast.
     
    Kein Zurück   …
    Alex hätte die Worte gern ausgeblendet, aber sie ließen sich nicht zum Schweigen bringen. Stimmte es tatsächlich, dass er für sein (Flips) restliches Leben in Philip Garamond festsaß?
    Er klickte auf »Was ist PE?«.
     
    Kurz gefasst, bezeichnet man mit psychischer Evakuierung den Zustand, wenn eine Seele ihren ursprünglichen Körper verlässt und in einen anderen überwechselt. Dabei nimmt sie den Platz der ursprünglichen Psyche des neuen Körpers oder physischen Wirtes ein. Wie die
Erlebnisberichte von Evakuierten
deutlich machen, variieren die Umstände, unter denen es passiert, aber wir können zwei allgemeine Übereinstimmungen festhalten:
1.   Die Evakuierung ereignet sich beim Sterben oder in unmittelbarer Todesnähe des alten Körpers.
2.   Der Wechsel geschieht zwischen psychisch oder anderweitig miteinander »verwandten« Personen (z.   B. durch Geburtsdatum, Geburtszeit und Geburtsort).
    Was lässt sich aus den uns bekannten Fällen sonst noch über PE sagen?
    Sie trifft junge Menschen (der jüngste bekannte Evakuierte ist 12, der älteste 24) und findet normalerweise bei plötzlich eintretendem Tod statt. Es gibt zwei bekannte Evakuierungen aus im Koma oder Wachkoma befindlichen Körpern, in beiden Fällen infolge einer traumatischen Verletzung. Was das Geschlecht betrifft, so haben wir ein Verhältnis von 57 zu 43 zwischen männlichen und weiblichen Evakuierten   – wobei die Übertragungen immer gleichgeschlechtlich stattfinden. Räumliche Entfernung ist kein Hindernis. Die Zwillingsseelen müssen zwar ähnliche Geburtsumstände (siehe Punkt 2) aufweisen, im Augenblick des Transfers spielt ihr Aufenthaltsort jedoch keine Rolle; der uns bekannte Wechsel über die weiteste Entfernung ist der von Corb1959   – von Manchester in England nach Dunedin in Neuseeland.
    Obwohl PE keine physischen Auswirkungen auf den neuen Körper des Evakuierten zu haben scheint, sind die psychischen Folgen der Evakuierung   – wie viele von uns wissen   – nicht zu unterschätzen. In mehreren Fällen hat die geistige Verfassung der Betreffenden gelitten und leider haben vier Evakuierte (von denen wir wissen) Selbstmord begangen.
    Was die vertriebene Psyche angeht: Wir wissen einfach nicht, wohin sie verschwindet. Die überzeugendste Theorie ist die, dass sie in die andere Richtung wechselt, in einer Art direktem Seelenaustausch, und deshalb zugleich mit dem ursprünglichen Körper des Evakuierten »stirbt«. Man darf wohl davon ausgehen, dass eine Psyche sich nicht ohne Gegenwehr ersetzen lässt. Wer weiß, wie viele Übertragungen gescheitert sind? Wie dem auch sei, wenn sich zwei Seelen um einen lebendigen Körper streiten, kann es nur einen Überlebenden geben. In deinem Fall bist du das.
    Ich weiß, was du jetzt denkst: »Warum?« Und: »Warum ich?«
    Wie du aus unseren Berichten und den archivierten Forumsdiskussionen erfahren wirst, haben sich andere Evakuierte mit den gleichen Fragen herumgeschlagen. Meiner bescheidenen Meinung nach wechselt eine Seele über, weil sie noch nicht bereit oder willens ist zu sterben. Sie weigert sich, in den Himmel, in die Hölle oder in irgendein anderes Jenseits beziehungsweise ins ewige Nichts oder was auch immer uns nach dem Tod erwartet, überzuwechseln. Deshalb ergreift sie angesichts des Versagens ihres lebenserhaltenden Systems (also ihres Körpers) die Flucht und sucht Unterschlupf bei einem neuen Wirt: ihrem »Zwilling«. Es spielt keine Rolle, dass diese Psychen, unsere