CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
Seelenverwandten, seit der Geburt ein völlig anderes Leben geführt haben oder dass sie im entscheidenden Moment vielleicht Tausende von Meilen entfernt sind – der Evakuierte hangelt sich an dieser psychischen Verbindung entlang und … zack!
Wenn du ein psychisch Evakuierter bist, bist du also mit einer Seele gesegnet (oder gestraft), deren Lebenswillen keine Grenzen kennt.
Bis Alex alle
Erlebnisberichte von Evakuierten
durchgelesen hatte, war es zwei Uhr nachts. Es gab nur dreizehn Geschichten, aber er hatte endlich gefunden, wonach er gesucht hatte: Menschen wie ihn.
Der Typ, der die Webseite betrieb, war Australier –
NTPete,
ein Reiseveranstalter aus Darwin, der vor elf Jahren in einen anderen Körper übergewechselt war; zuvor war er Brian gewesen, ein Hochschulabsolvent der Informatik, der bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Die anderen kamen aus der ganzen Welt: aus den USA, Kanada, Südafrika, Japan, Indonesien, Deutschland, Island, Brasilien …
Das waren die Überlebenden. Und Alex gehörte dazu.
Aber, falls NTPete recht hatte, dann gab es für jeden Gewinner einen Verlierer – eine Seele, die vorzeitig und an einem anderen Ort sterben musste. In diesem Licht hatte er Philip nie gesehen – als seinen Seelenzwilling. Allem Anschein nach waren Alex und Philip nicht nur am selben Tag im selben Krankenhaus auf die Welt gekommen, sondern wohl sogar fast im selben Augenblick. Zwei Seelen, die mehr oder weniger gleichzeitig entstanden waren; zwei verschiedene Mütter, in unterschiedlichen Kreißsälen, aber doch mit einer ähnlichen unbewussten Verbindung, wie man sie zwischen echtenZwillingen kennt. Eine Verbindung, die Alex’ Seele ein Hintertürchen geboten hatte, als sein Körper von dem fahrerflüchtigen Autofahrer erwischt und liegen gelassen worden war. Und so war er hier gestrandet, wo er ein Leben lebte, das nicht seines war. Aber wenn er schon nicht gern Philip Garamond war, wie viel schlimmer war es dann für Flip? Der war schließlich in den bewusstlosen, womöglich sterbenden Körper eines Jungen verbannt, dessen Seele bei einem psychischen Tauziehen die Oberhand gewonnen hatte.
Dabei hätte Alex Philip immer als den Stärkeren eingeschätzt. Körperlich stimmte das auch, darum hatte Alex automatisch angenommen, dass der andere Junge auch innerlich robuster sein würde. Durchsetzungsfähiger, aggressiver, selbstbewusster. Offensichtlich war dem nicht so. Es sah ganz so aus, als wäre Alex’ Psyche, sein innerstes Wesen – seine
Seele
mit ihrem grenzenlosen Lebenswillen – zäher als gedacht.
Sein Lebenswille. Aber auch die Bereitschaft, eine andere Seele in den Tod zu schicken.
Alex registrierte sich auf der Webseite, und als sein Passwort und sein Benutzername aktiviert waren, loggte er sich ins Forum ein. Zurzeit war sonst niemand online, also gab er seine Geschichte in den Bereich mit den Erfahrungsberichten der Evakuierten ein. Er schrieb über Alex Gray und Philip Garamond, darüber, dass er eines Morgens in einem fremden Körper aufgewacht war, und über alles, was seitdem passiert war, auch über seinen Ausflug nach Crokeham Hill. Er fügte sogar Links zueinigen Online-Artikeln über den Unfall und den unglückseligen »Koma-Jungen« hinzu.
Nachdem er so lange mit niemandem hatte sprechen können, sprudelte es jetzt nur so aus ihm heraus. Seite um Seite. Ich bin Alex , fing er an. Ich bin in Philip. Ich bin vor zwölf Tagen evakuiert. Mein ursprünglicher Körper liegt seit über sechs Monaten im Koma. Ich lebe noch.
Während er schlief (was ihm schließlich doch gelang), brach auf Evakuierungderseele.com die Hölle los.
Nach dem Aufwachen ging Alex sofort online und schaute im Forum nach – und da war’s, ein neuer Thread, der eine ganze Reihe Kommentare nach sich zog. Wahrscheinlich löste jedes neue Mitglied solche Aufregung aus, aber Alex’ Geschichte hatte die anderen Betroffenen richtiggehend in Aufruhr versetzt. Einige stellten seine »Behauptung«, der Körper, aus dem er evakuiert war, sei noch am Leben, infrage, und beschuldigten ihn, sich einen schlechten Scherz zu erlauben. Andere waren weniger feindselig, aber immer noch skeptisch. Bei sämtlichen bekannten Fällen war der Seelentransfer mehr oder weniger mit dem Todeszeitpunkt zusammengetroffen. Sogar bei den beiden anderen Koma/Wachkoma-Patienten waren die Evakuierungen direkt auf den Abbruch der medizinischen Versorgung hin erfolgt. Warum sollte eine Seele
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