CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
Schüler, gähnte und horchte in sich hinein, ob er sich noch mal übergeben musste. Sein Kopf fühlte sich an, als hätte jemand einen Gürtel um sein Hirn gezogen. Rob entschuldigte sich. Er hatte nicht angerufen, um sich mit Alex zu zanken.
»Aber war doch ein super Tag, gestern, oder?«
Alex grinste und sagte: »Ja, echt super.« Dann fragte er: »Sag mal, Rob, hast du Albträume gehabt? Nach dem Wechsel, meine ich.«
»Was denn für Albträume?«
Alex erzählte ihm von seinen. »Bis jetzt dachte ich, sie hätten was mit dem Autounfall zu tun. Gestern Nacht hatte ich allerdings einen, der war ganz anders. Klar, ich war betrunken und alles, aber …«
Er beschrieb Rob den Traum. Er ist in einer Kammer oder Gruft gefangen. Schwebend, völlig schwerelos. Außer schwärzester Dunkelheit gibt es nichts zu sehen. Er spürt auch nichts um sich herum, nur eiskalte, feuchte Luft auf der Haut. Aber in ihm drin wühlt ein unerträglicherSchmerz: Er reißt wie mit zahllosen spitzen Zähnen an seinen Eingeweiden, als würden ganze Horden von Mäusen sich aus seinem Leib nach draußen durchnagen. Er hört auch Geräusche: schaurige Schreie und ein Geheul, die aus der Luft selbst zu kommen scheinen. Wenn er vom höchsten Wolkenkratzer der Welt springen würde, dann könnte sein letzter stummer Schrei sich so anhören.
Er hörte Rob tief durchatmen. »Nein, Kumpel, so was kenne ich nicht. Vorher, als Chris, habe ich viel geträumt, aber jetzt gar nicht mehr. Keine Albträume. Keine Flashbacks zu meiner Ermordung. Als wäre dieser Teil meines Bewusstseins ausradiert.«
»Ich habe das Archiv auf der P E-Webseite durchsucht«, sagte Alex. »Keiner der Evakuierten berichtet von Albträumen nach dem Wechsel. Was kann das bloß sein?«
Ehe Rob antworten konnte, klingelte es zum Unterricht.
»Ich muss jetzt in die Schule.«
»Ach so, klar. Ich wollte nur wissen, ob mit dir alles in Ordnung ist. Abgesehen von einem Riesenkater, vollgekotzten Fluren und grässlichen Albträumen.«
Alex hörte, wie jemand im Hintergrund
Pst!
machte. »Wo bist du überhaupt?«
»Auf einem Parkplatz, auf dem man nicht übernachten darf.«
»Hört sich an wie am Meer.«
»Das muss der Wind in den Bäumen sein. Oder die Regeneration meines dehydrierten Hirns.«
»Nicht zu fassen, dass du nach dem vielen Bier noch von Scarborough hierher zurückgefahren bist.«
»Hey, Alex, wenn man schon mal gestorben und irgendwie davongekommen ist, macht man sich über Sachen wie betrunken Auto fahren keinen Kopf mehr.«
Wahrscheinlich waren es die Nachwirkungen des Biers, aber Alex war von seinem Albtraum dermaßen erledigt … als hätte er von dem geträumten Reißen an seinen Eingeweiden tatsächlich Blut verloren. Als er das Schulgelände betrat, fühlte er sich immer noch benommen.
Je gründlicher er die Träume analysierte, desto weniger wurde er daraus schlau. Klar, Träume ergaben auch sonst nur selten einen Sinn. Streng genommen
existierten
Träume als solche überhaupt nicht; sie waren lediglich Nebenprodukte des Verstandes. Wie ein Film: bloß Lichtstrahlen auf einer Leinwand. Wenn man den Projektor abstellte, verschwand das Bild. Träume waren in gewisser Hinsicht mit dem Verstand oder dem Bewusstsein vergleichbar. Nichts, was man anfassen, wiegen, vermessen oder sonst wie aufzeichnen könnte. Man
weiß,
dass man träumt, oder man
weiß,
dass man ein Bewusstsein hat, aber nur, weil einem der Verstand das sagt. So gesehen war der Verstand ein Produkt des Verstandes.
Neuronen.
So lautete Mrs Reaneys Erklärung. Naturwissenschaften, erste Stunde. Nachdem sie die Frage nach einerwissenschaftlichen Erklärung für den Verstand verdaut hatte (und dann kam die Frage auch noch von Philip Garamond, und das mitten in einer Stunde über die Fotosynthese), ging die Lehrerin aber doch ernsthaft darauf ein.
»Wenn du mit ›Verstand‹ den, äh, Sitz des menschlichen Bewusstseins meinst, dann würde ich sagen, dass die neurale Aktivität uns zu dem macht, wer wir sind: die Botschaften, die zwischen den Nervenzellen des Gehirns ausgetauscht werden.«
»Dann ist der Verstand also einfach nur ein Klumpen Zellen?«
»Nun ja, Zellen, Synapsen und chemische Botenstoffe. Und, Philip«, erwiderte die Lehrerin lächelnd, »wenn du sagst ›nur ein Klumpen Zellen‹, darfst du nicht vergessen, dass es im menschlichen Gehirn über einhundert Milliarden Neuronen gibt.«
Mrs Reaney trug wieder mal eins ihrer üblichen handgewebten Wallegewänder. Für
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