CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
gab sich als romantische Figur, aber online und wenn Alex mit ihm allein war, offenbarte er, wie vielschichtig und im Grunde verstört er war.
Alex behielt das für sich und schaute der Darbietung belustigt zu.
Nur eins verwirrte ihn: Wenn Rob sich so nachdrücklich von seiner Vergangenheit – von seinem Leben, von Chris – verabschiedet hatte … wieso war er dann überhaupt wieder nach England zurückgekehrt?
Sie gingen schwimmen. Richtig weit draußen im Meer, nicht nur so am Strand herumplanschen. Da sie keinBadezeug dabeihatten, mussten sie in Unterwäsche gehen. Rob machte den Anfang, zog sich bis auf die Unterhose aus, rannte in die Wellen und warf sich kopfüber und unter lautem Johlen hinein. Jack war der Nächste, dicht gefolgt von Alex; sie liefen um die Wette. Die Mädchen waren zurückhaltender. Sie zogen sich nahe am Wasser aus, wo sie ihre Röcke und Oberteile ordentlich zusammengefaltet in eine Plastiktüte steckten, dann bedeckten sie sich, so gut es ging, mit den Händen, während sie langsam ins Meer wateten, wegen der Kälte kreischten und bei jeder heranrollenden Welle einen kleinen Hüpfer machten.
Rob, Jack und Alex traten Wasser und sahen ihnen zu.
»Jetzt macht mal hin,
Meeedels
!«, rief Jack. »Ziert euch nicht so.«
»Ihr sollt nicht gucken!«, kreischte Emma halb wütend, halb geniert, als erst ihr Höschen und dann ihr BH durchsichtig wurde.
Das Wasser war eiskalt. Alex’ Beine wurden taub und sein Atem ging keuchend, aber vom Schwimmen wurde ihm warm: vom Tauchen und Planschen, von den Handständen, Vorwärtsrollen und Rückwärtssaltos, vom Bodysurfing. Donna klammerte sich bei einem Huckepackrennen gegen Jack und Emma an seine Schultern. Dann tauchten alle abwechselnd durch die Beine der anderen (und Rob tauchte mit Jacks Boxershorts wieder auf). Alex’ Handgelenk tat bei jedem Armzug scheußlich weh, aber er schwamm gegen den Schmerz an. Um nichts in der Welt hätte er auf diesen Spaß verzichten wollen.Dabei stellte er fest, dass er tatsächlich schwimmen konnte – kräftig, sicher und schnell. Als Alex hatte er erst mit zwölf Schwimmen gelernt und sich im Wasser nie besonders wohlgefühlt. Jetzt war er ganz in seinem Element, pflügte durch die Wellen, als böten sie nicht den geringsten Widerstand.
Als die anderen, nacheinander, wieder ans Ufer wateten, blieb Alex noch im Wasser. Zwanzig Minuten, eine halbe Stunde. Er schwamm hin und her, parallel zum Strand – Kraul, Brust, Rücken, Delfin –, bis seine Lungen stachen, seine Schultern schmerzten und seine Haut vor Kälte kribbelte.
Schließlich hörte er auf. Ließ sich treiben, bis er wieder zu Atem gekommen war.
Als er zum Strand hinüberschaute, stellte er fest, dass er ein ganzes Stück hinausgetrieben war. Nicht gefährlich weit, aber doch so weit, dass er seine vier Gefährten zwischen den Menschen am Strand, die wie Farbtupfen auf einem impressionistischen Gemälde aussahen, nicht mehr ausmachen konnte. Der Wind trug Kindergeschrei und Lachen bis zu ihm. Der Junge mit dem Drachen war auch noch da, der Drachen klebte am Himmel wie ein Abzeichen an einem hellblauen Hemd. Die Sonne stand über den Dünen, immer noch hoch genug, aber doch schon deutlich in Richtung Horizont unterwegs. Ihr Schein ließ das Wasser schimmern wie flüssiges Silber.
In diesem Moment – hier, jetzt – fühlte Alex sich so lebendig wie nie. Aber auch ganz allgemein hatte er sich nicht mehr so gefühlt, seit er als Flip aufgewachtwar. Das wurde ihm jetzt schlagartig klar wie eine Offenbarung. Er war sich seiner selbst ungeheuer bewusst, nahm seine Umgebung so überdeutlich wahr wie noch nie als Alex. Jeder Geruch, jeder Geschmack, jede Berührung, jedes Geräusch, jeder Anblick, jeder Eindruck und jede Empfindung, jede Minute war viel, viel intensiver. In seiner früheren Existenz hatte er mehr oder weniger vor sich hin gelebt, hatte die Bestandteile seines Lebens in ihrer wundervollen Vielfalt kaum wahrgenommen – oder sie als selbstverständlich hingenommen. Jetzt, wo er in Flips Haut steckte, sprudelte jede kleine, noch so alltägliche Regung des »Daseins« unvergleichlich belebend in ihm auf.
Falls er jemals wieder in seinen eigenen Körper zurückkehren konnte, das schwor sich Alex, würde er versuchen, genauso zu leben.
Er schwamm zurück und ging zu den anderen. Sie ließen sich von der Sonne trocknen. Jack versuchte mit drei Kronkorken zu jonglieren; Emma und Donna hörten Musik aus einem
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