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Crash

Crash

Titel: Crash Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
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Mein kurzer Aufenthalt im Krankenhaus hatte mir bereits gezeigt, daß der medizinische Berufszweig ein offenes Tor für jeden war, den ein innerer Groll oder Haß auf die menschliche Rasse plagte.
    Er sah mich von oben bis unten an und nahm anscheinend jede Einzelheit meiner Verletzungen mit augenscheinlichem Interesse in sich auf, doch mein Interesse galt mehr der jungen Frau, die mit Hilfe eines Stocks auf mich zukam. Diese Gehhilfe war deutlich nur ein Vorwand, der es ihr erlaubte, das Gesicht gegen die angehobene Schulter zu pressen, wodurch sie den Bluterguß auf ihrer rechten Wange verbergen konnte. Ich hatte sie zuletzt im Notarztwagen neben ihrem toten Mann gesehen, wo sie mich mit mildem Haß angesehen hatte.
    »Dr. Remington…?« Ich nannte ihren Namen, ohne nachzudenken.
    Sie kam auf mich zu und änderte den Griff um ihren Stock, als wollte sie mir damit über das Gesicht schlagen. Sie bewegte den Kopf mit einer seltsamen Geste des Nackens, um mir deutlich ihre Verletzung zu zeigen. Als sie den Türrahmen erreicht hatte, wartete sie trotzig darauf, daß ich ihr Platz machen würde. Ich betrachtete das verletzte Gewebe ihres Gesichts, die Narben einer dünnen Naht vom rechten Augenwinkel bis zum Apex ihres Mundes waren noch deutlich zu erkennen. Diese neue Linie bildete zusammen mit der nasolabialen Falte ein Muster, das den Handflächenlinien einer sensiblen Person nicht unähnlich war. Ich las eine imaginäre Biographie in der Geschichte ihrer Haut und stellte sie mir als glamouröse, wenn auch überarbeitete Medizinstudentin vor, die nach Erlangung der Doktorwürde eine überlange Pubertät überwand und sich in eine Reihe unsicherer Liebesaffären stürzte, die glücklicherweise in einer tiefen emotionalen und genitalen Vereinigung mit ihrem Gatten, dem Ingenieur, endeten, ein jeder plünderte den Körper des anderen wie Robinson Crusoe sein sinkendes Schiff. Die Hautkerbe über ihrer Oberlippe markierte bereits die Arithmetik der Witwenschaft, die verzweifelte Kalkulation, daß sie niemals mehr einen anderen Liebhaber finden würde. Ich konnte ihren kräftigen Körper unter dem malvenfarbenen Bademantel erahnen, ihre Rippen wurden teilweise von einem weißen Verband verborgen, der wie eine klassische Hollywood-Brustschärpe von einer Schulter zur gegenüberliegenden Achselhöhle verlief.
    Sie beschloß, nicht weiter auf mich zu achten, und ging mit steifen Schritten weiter den Korridor hinab, wo sie mit ihrem Zorn und ihren Verletzungen einherparadierte.

    Während meiner letzten Tage im Krankenhaus sah ich Dr. Helen Remington nicht wieder, doch wenn ich in meiner leeren Station lag, mußte ich unaufhörlich an den Unfall denken, der uns zusammengeführt hatte. Ein überaus starkes erotisches Spannungsfeld hatte sich zwischen mir und dieser Frau gebildet. Es war fast so, als wünschte ich mir insgeheim, in ihrem Schoß an die Stelle ihres toten Mannes zu treten. Wenn ich zwischen den Metallschränken und weißen Kabeln der Röntgenabteilung in ihre Vagina eindrang, würde ich irgendwie ihren Mann von den Toten zurückhexen, aus dem Schnittpunkt ihrer linken Achselhöhle mit dem verchromten Kamerastativ, aus der Verbindung unserer Genitalien und der elegant gearbeiteten Okularabdeckung.
    Ich hörte den Schwestern zu, die im Stabszimmer miteinander sprachen. Catherine besuchte mich. Sie seifte sich die Hände mit der Seife auf dem feuchten Teller in meinem Toilettenschrank und sah dann mit ihren bleichen Augen zu dem blumenumrankten Fenster hinaus, während sie mich masturbierte und ihre linke Hand eine Zigarette unbekannter Marke hielt. Ohne Aufforderung begann sie, von meinem Unfall und den Untersuchungen der Polizei zu sprechen. Sie beschrieb die Schäden am Wagen mit der Beharrlichkeit eines Voyeurs und entnervte mich fast mit ihrer detaillierten Schilderung des zerdrückten Kühlergrills und des Blutes an der Kühlerhaube.
    »Du hättest zur Beerdigung gehen sollen« , sagte ich ihr.
    »Ich wünschte, ich hätte es getan ‚ antwortete sie prompt. »Sie begraben die Toten so rasch - man sollte sie monatelang herumliegen lassen. Ich war noch nicht bereit.«
    »Remington war bereit.«
    »Ich glaube schon.«
    »Was ist mit seiner Frau?« fragte ich. »Die Ärztin. Hast du sie besucht?«
    »Nein. Ich konnte nicht. Ich fühle mich zu sehr mit ihr verbunden.«
    Catherine sah mich bereits in neuem Licht. Respektierte sie mich, beneidete sie mich vielleicht sogar, weil ich einen Menschen auf die einzig

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