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Crash

Crash

Titel: Crash Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
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Windschutzscheibe. »Ich kann nicht ewig auf der Veranda sitzen - ich komme mir schon langsam vor wie eine Topfpflanze.«
    »Ich verstehe.«
    »Nein.«
    Die ganze Woche, nachdem ich mit dem Taxi vom Krankenhaus nach Hause gebracht worden war, hatte ich im selben Liegestuhl auf der Veranda unseres Apartments gesessen und die beruhigenden Balkonreihen meiner unbekannten Nachbarn zehn Stockwerke tiefer betrachtet. Am ersten Nachmittag hatte ich die endlose Landschaft aus Beton und Stahlgerüsten kaum wiedererkannt, die sich von den Autobahnen südlich des Flughafens über die Schnellstraßen bis hin zu den neuen Wohnblocks entlang der Western Avenue erstreckte. Unser eigener Block am Drayton Park stand nördlich vom Flughafen, inmitten einer erfreulichen Insel moderner Häusereinheiten, in die Landschaft eingegliederter Tankstellen und Supermärkten, die von einem Zubringer zur nördlichen Umgehungsstraße, die auf ihren eleganten Betonsäulen an uns vorbeizuschweben schien, vom fernen Bulk Londons abgeschirmt war. Ich blickte hinab auf diese gewaltige, bewegliche Skulptur, deren Verkehrsdecks fast höher zu sein schienen als der Balkon, auf dem ich mich befand. Ich begann, mich wieder um diesen beruhigenden Block herum zu orientieren, um die vertrauten Perspektiven von Geschwindigkeit, Zweckdienlichkeit und Richtung. Die Häuser unserer Freunde, die Spirituosenläden, in denen ich unsere Alkoholika kaufte, das kleine Programmkino, wo Catherine und ich uns amerikanische Avantgardefilme und deutsche Sexualkundefilme ansahen, sie alle gruppierten sich um die Palisade der Umgehungsstraße. Ich erkannte, daß die menschlichen Bewohner dieser technologischen Landschaft nicht länger mehr ihre schärfsten Fixpunkte bildeten, den Schlüssel zu den Grenzzonen der Identität. Das müßige Umherschlendern von Frances Waring, der gelangweilten Frau meines Partners, das häusliche Gerangel unserer Wie-geht-es-Ihnen-Nachbarn im Haus, alle Hoffnungen und Wünsche dieser gemütlichen Vorstadtsklaven, die in tausend Ungläubigkeiten und Treulosigkeiten zusammengedrängt waren, wurden vor der soliden Realität der Gestade von Straßen und Autobahnen mit ihrer konstanten, makellosen Geometrie, sowie vor den unüberschaubaren Geländen der Parkplatzanlagen zum Nichts herabreduziert.
    Als ich mit Catherine vom Krankenhaus heimfuhr, war ich erstaunt darüber, wie sehr sich das Bild des Autos in meinen Augen verändert hatte. Es war fast so, als wäre mir erst durch meinen Unfall seine wahre Natur enthüllt worden. Während ich mit dem Kopf an der Heckscheibe des Taxis lehnte, genoß ich entzückt den Anblic k des Verkehrsstroms entlang der Western Avenue. Die blitzenden Lanzen des Nachmittagslichts, das von verchromten Zierleisten reflektiert wurde, zehrte an meiner Haut. Der harte Jazz der Kühlergrills, die Bewegungen der Autos, die sich auf den sonnengleißenden Fahrspuren dem Londoner Flughafen näherten, der Straßenbelag und die Richtungspfeile - all das schien bedrohlich und superreal und so entzückend wie die beschleunigenden Stahlkugeln einer sinistren Flippermaschine, die jemand in die Schnellstraßen hineingeschossen hatte.
    Catherine bemerkte, daß ich überreizt reagierte, und führte mich rasch zum Fahrstuhl. Die optischen Perspektiven unseres Apartments hatten sich verändert, Ich stieß sie beiseite und trat auf die Veranda hinaus. Autos erfüllten die Vorstadtstraßen unter uns, erdrückten die Parkplätze und Supermärkte und die seitlichen Fahrbahnbegrenzungen. Zwei kleinere Unfälle waren auf der Western Avenue passiert, wodurch sieh ein ansehnlicher Stau auf der Überführung über dem Zufahrtstunnel zum Flughafen gebildet hatte. Als ich nervös auf der Veranda saß und Catherine mich mit einer Hand auf dem Telefonhörer vom Wohnzimmer aus beobachtete, betrachtete ich erstmals diese gewaltige Korona aus polierter Zellulose, die sich vom südlichen Horizont bis zu den Schnellstraßen im Norden erstreckte. Ich verspürte ein undefinierbares Gefühl drohender Gefahr, fast so, als stünde ein Unfall kurz bevor, an dem alle Autos beteiligt sein würden Die Passagiere in den vom Flughafen startenden Flugzeugen entfernten sich vom Katastrophengebiet und flohen damit vor dem bevorstehenden Autogeddon.
    Die Vorahnungen kommender Katastrophen ließen mich nicht mehr los. Am ersten Tag zu Hause verbrachte ich die ganze Zeit auf der Veranda und beobachtete den Verkehr auf der Schnellstraße, um die ersten Anzeichen vom Ende der

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