Crashkurs
eines Tages nicht mehr gilt. Aber dazu später.
Als in den letzten Jahren die Zinsen in Amerika langsam anstiegen, wurde dieses Konstrukt immer anfälliger, und man erfand eine neue geniale Idee, wie man Menschen, die sich eigentlich nicht einmal die Zinsen leisten könnten, ein Immobiliendarlehen andrehen konnte: die berüchtigten 2+28-Finanzierungen.
Die Kunden wurden mit sehr niedrigen Anfangszinssätzen geködert: »Sie zahlen zwei Jahre lang nur 3 Prozent Zinsen … und danach achtundzwanzig Jahre lang Libor plus 5 Prozent.« Das blickt kein einfacher Landarbeiter, sollte er aber auch gar nicht. »Libor« ist die Abkürzung für »London Interbank Offered Rate« und bezeichnet nichts anderes als den Zinssatz, den eine Bank in London bezahlen muss, wenn sie sich von einer anderen Bank Geld leiht. Also wird der mittellose amerikanische Tabakpflanzer künftig achtundzwanzig Jahre lang diesen sich sehr schnell ändernden Zinssatz von London zahlen. Im Moment sind das 4 Prozent zuzüglich weiterer 5 Prozent (Libor plus 5 Prozent), insgesamt also 9 Prozent Zinsen. Wenn die Zinsen in den nächsten Jahren wieder ansteigen, können das problemlos 12, 13 oder 15 Prozent werden.
Dass der arme Herr Arbuckle bei diesem Geschäft nicht nur über die Wupper, sondern aus Verzweiflung eventuell sogar in den Mississippi geht, kann dem Kreditvermittler ziemlich egal sein, denn der hat dieses Darlehen ja längst zusammen mit tausend anderen Darlehen dieser Art in einen Schuhkarton gepackt und das Ganze zur Ratingagentur Moody’s nach New York geschickt. Die haben sich auf die Begleitschreiben der Kreditvermittler verlassen. »Ooch, das sieht doch ganz gut aus. Außerdem sind das so viele Verträge, wenn da mal der eine oder andere ausfällt, fängt die Masse das doch ab, und außerdem bezahlt uns der Kreditvermittler ja für unser Rating, da wollen wir mal nicht so sein.« Dann wurde ein guter Qualitätsstempel auf den Schuhkarton geklebt, und damit versehen wurde der Karton verkauft – zum Beispiel an den Finanzkonzern JPMorgan Chase in New York.
Die hat aber nicht nur einen, sondern ganz viele dieser Schuhkartons gekauft, sie alle in ein noch größeres Paket gepackt und an die Ratingagentur S&P (Standard & Poor’s) geschickt. S&P guckt rein und denkt: »Prima! Da sind ja eine Menge von Moody’s gut bewertete Schuhkartons drin. Und selbst wenn da mal der eine oder andere ausfällt, die Masse fängt das ab, und außerdem bezahlt uns JPMorgan ja für unser Rating, da wollen wir mal nicht so sein.« Da kommt also jetzt ein richtig guter Stempel drauf. Und dieses Paket wird dann an die IKB im schönen Düsseldorf am Rhein verkauft.
Jetzt frage ich persönlich mich: Welche Ahnung hat die IKB in Düsseldorf von der Bonität des Tabakpflanzers Arbuckle in Virginia? Ich behaupte einfach: gar keine! Vermutlich wissen die noch nicht einmal, dass es den Mann überhaupt gibt. Aber sie haben seinen Kreditvertrag im Keller!
Als wäre das Ganze nicht schon abenteuerlich genug, hat man diesen Paketen auch noch andere Darlehen beigemischt – beispielsweise Autofinanzierungen oder Kreditkartenverbindlichkeiten. Überhaupt: Kreditkartenverbindlichkeiten! Es geht ja dieses geflügelte Wort, dass »jeder Amerikaner zehn Kreditkarten hat«. Ist natürlich übertrieben, trifft aber den Kern. Haben Sie sich schon einmal gefragt, was »der Amerikaner« mit zehn Kreditkarten will? Der hat die nicht, um mehr Abwechslung in seinen tristen Alltag zu bringen. Er braucht die dritte Kreditkarte, um die Verbindlichkeiten der ersten beiden zu bedienen, wenn diese ausgeschöpft sind, und so weiter. Was dabei herauskommt, wenn man über Jahre und Jahrzehnte Kredite mit neuen Krediten finanziert, Löcher stopft, indem man neue – noch größere – Löcher reißt, dafür braucht es auch wieder kein Wirtschaftsstudium, sondern lediglich gesunden Menschenverstand. Das geht eine Zeitlang gut, aber dann geht es etwas ganz anderes … nämlich mächtig schief!
Den Höhepunkt dieses Kreditwahnsinns erreichte der amerikanische Markt Ende 2006, als nahezu jeder, der auch nur drei Kreuze unter einen Vertrag setzen konnte, ein Immobiliendarlehen aufgenommen hatte. Es wurden schlichtweg die potentiellen Käufer knapp. Wenn keine neuen Käufer mehr gewonnen werden, ist in einem Markt, in dem es fast unbegrenzt viel Land gibt, die logische Konsequenz, dass die Preise nicht mehr steigen. »Nicht mehr steigen« genügte bereits, um die ersten Hausbesitzer in
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