Crazy Moon
loslegen, da blickte sie mir wieder ins Gesicht und mein Mut verließ mich augenblicklich.
Auf einmal musste ich an meine Mutter denken und an die vielen Raupen, die ihrer Meinung nach nur noch
werden
mussten, um glücklich zu sein. An Mira, die tat, als würde sie die gehässigen Bemerkungen hinter ihrem Rücken nicht hören. An Morgan und das selig verliebte Lächeln auf ihrem kantigen Gesicht. Ich dachte sogar an Isabel und mich, unter dem gelben Mond.
Als das Auto an uns vorbeifuhr und vor dem kleinen weißen Haus bremste, bewegte sich kein Muskel in Isabels Gesicht. Sie drehte sich nicht um, als jemand aus dem Wagen stieg und die Stufen hinauflief, während |145| Morgan ihm entgegenstürzte. Und sie sagte kein Wort, als die beiden hineingingen und die Lichter löschten, so dass wir im Dunkeln sitzen blieben und unser Weg ins Haus schließlich nur noch durch den Mond und das Licht aus Miras Schlafzimmerfenster beleuchtet wurde.
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Am nächsten Morgen, dem vierten Juli, stand ich früh auf, um joggen zu gehen. Isabel pennte auf dem Sofa. Mira dagegen war schon wach; ich hörte die Dielenbretter über meinem Kopf knarren. Sie rannte wohl beim Anziehen mal wieder durch die Gegend, um Kater Norman einzufangen.
Auf meinem Weg zum Strand kam ich an Normans Tür vorbei. Sie stand einen Spalt offen und ich beschloss spontan mich doch noch mal richtig für die Sonnenbrille zu bedanken. Als ich klopfte, sprang die Tür von selbst weit auf und ich trat vorsichtig ein, in einen Raum, der von oben bis unten mit Zeug voll gestopft war. An den Wänden entlang standen stapelweise Leinwände und von der Decke hingen mindestens zehn Mobiles, die in dem Luftzug, der mit mir hereindrang, leicht schaukelten und sich drehten. Sie waren aus allem möglichen Krimskrams zusammengebastelt: Fahrradzubehör, Flummis, aus Zeitschriften ausgeschnittene Bilder in Minirahmen. Und eines bestand aus Linealen und Winkelmessern, die mit sanftem Klicken umeinander trudelten. Die Schaufensterpuppen, die Norman an meinem ersten Tag in Colby in sein Zimmer geschleppt hatte, lehnten nebeneinander an einer Wand. Ihre Körper schillerten |147| in den wildesten Farben, auch die Finger am Ende der ausgestreckten Arme waren in fröhlichen, leuchtend bunten Neonfarben bemalt. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie in diesem Zimmer noch irgendetwas Platz finden sollte, obwohl Norman auf dem morgigen Gemeindeflohmarkt garantiert wieder zuschlagen würde.
Zwischen all seinen Schätzen entdeckte ich schließlich Norman selbst. Er lag schlafend auf einem Futon in der Ecke, über dem ein Mobile aus verschiedenfarbigen Sonnenbrillenteilen hing, und murmelte im Schlaf leise vor sich hin. Obwohl es im Raum relativ kühl war, trug er kein T-Shirt , Decke und Laken hatten sich um seinen nackten Oberkörper verheddert. Ich starrte ihn an, war wie gebannt. Einen Arm hatte er lang hinter dem Kopf ausgestreckt, so dass die Finger die Wand streiften, und sein Gesicht war vor Hitze leicht gerötet. Er kam mir vollkommen anders vor als sonst, fast als wäre ich ihm nie zuvor begegnet. Außerdem beschlich mich das seltsame Gefühl, er werde jeden Moment die Augen öffnen. Und dann müsste ich erklären, warum ich vor ihm stand, ohne die Durchreiche zwischen uns oder einen konkreten Anlass. Völlig ungeschützt. Als mir das klar wurde, zog ich mich sofort zurück, wobei ich prompt mit einer Schaufensterpuppe zusammenstieß.
Beim Joggen jedoch hatte ich immer wieder das Bild vor mir, wie Norman dagelegen hatte. Ich fragte mich, wovon er wohl geträumt hatte.
Am Strand war es nebelig und kühl. Ich dachte an Mira und daran, was Isabel am Vorabend zu mir gesagt hatte.
Was wir uns antun, nur weil wir Schiss haben.
Ich kannte einen Menschen, der fast nie Angst hatte. |148| Und dennoch oder gerade deswegen war sie die Einzige, die mich verstehen würde.
»Colie?« Ich konnte hören, wie sie sich im Bett aufsetzte und verschlafen das Telefon zurechtrückte. »Ist was passiert?«
»Nein. Ich wollte bloß mit dir reden.«
Meine Mutter war in Spanien. Ich hatte mich an drei Telefonvermittlungen, zwei Hotelangestellten und einer neuen, schwer genervten Assistentin vorbeikämpfen müssen, bis ich bei ihr gelandet war. »Und ich vermisse dich.« Am Telefon ließ sich das irgendwie einfacher aussprechen.
»Ich vermisse dich auch, mein Schatz.« Aber sie klang überrascht. »Wie geht es euch?«
»Okay.« Ich zog das Telefon am Kabel weiter in die Küche
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