Crazy Moon
hinein und setzte mich auf den Boden. Ich erzählte ihr von meinem Job und davon, dass Isabel meine Augenbrauen gezupft und meine Haare neu gefärbt hatte. Ich staunte selbst darüber, wie viel geschehen war, seit wir das letzte Mal miteinander telefoniert hatten. Sie erzählte mir, dass sie drei Stunden lang Autogramme gegeben hatte, dass das europäische Essen zu viele Kalorien hatte und dass sie schon wieder eine Assistentin feuern musste, weil sie widersprochen hatte. Also
so was
!
Und dann kam ich endlich zum wahren Grund meines Anrufs.
»Mama?«
»Ja?«
»Wusstest du, dass Mira ein bisschen . . . äh, schräg ist?« Ich flüsterte, obwohl ich Mira immer noch im Stockwerk über mir umherlaufen hörte.
|149| »Was hast du gesagt?« Meine Mutter war in Gedanken noch bei der widerborstigen Assistentin.
»Es geht um Mira. Sie ist nicht so, wie ich sie in Erinnerung hatte. Sie ist irgendwie . . . ein bisschen durchgeknallt oder so.«
»Tja, das kannst du laut sagen. Sie war eben schon immer eine Künstlerin und deshalb etwas exzentrisch.«
»Das meine ich nicht. Ich meine . . . die Leute hier in Colby sind . . . sie sind ziemlich gemein zu ihr.«
»Wirklich?« Jetzt klang ihre Stimme bedauernd. »Ja, ich weiß, dass sie bei ein, zwei Gelegenheiten heftig mit ein paar Leuten aneinander geraten ist.«
»Die Geschichten kenne ich.«
»Aha.« Sie schwieg. Ich sah sie vor mir am anderen Ende der Leitung. Wenn sie so schwieg, dachte sie nach und biss sich dabei auf die Lippen. Das tat sie immer. »Mira ist einfach ein sehr eigenwilliger Mensch. Ich wusste nur nicht, dass es mittlerweile so schlimm geworden ist.«
»Ich find’s schade, dass wir keine Ahnung davon hatten. Sie tut mir nämlich Leid . . .«
Sie unterbrach mich: »Nein, Colie,
mir
tut es Leid. Ich bin sowieso unglücklich, weil ich dich wegen dieser Europatour allein lassen musste. Und jetzt auch noch das . . . Pass auf, ich schicke meine neue Assistentin, Amy, mit dem nächsten Flug nach Charlotte. Du setzt dich in den Zug und fährst auch zurück. Sie kann mit dir bei uns wohnen, bis ich hier fertig bin und zurückkomme. Das dauert nur noch ein paar Wochen.«
»Moment mal. Mama . . .«
Aber sie hörte mir gar nicht mehr zu, sondern legte die Hand auf die Sprechmuschel und sagte zu jemandem, der |150| bei ihr im Zimmer war: »Kannst du bitte die schnellste Flugverbindung nach Charlotte raussuchen lassen . . .«
»Mama!«
». . . am besten gleich heute oder morgen. Und sag Amy . . .«
»Mama!!«
». . . sie soll packen, den Putzdienst anrufen und eine Zugfahrkarte von . . .«
»Mama!«
Ich musste regelrecht brüllen. Wenn meine Mutter anfing etwas zu organisieren, war sie nicht mehr aufzuhalten.
»Was?«, brüllte sie zurück. »Einen Moment noch, Colie, okay?«
»Nein, stopp. Ich möchte gar nicht nach Hause fahren. Mir geht es gut hier.«
Wieder schwieg sie. Ich stellte mir vor, wie gerade halb Spanien umeinander flitzte und meine sofortige Rückfahrt vorbereitete. »Bist du sicher?«
»Ja.« Meine Hand bekam vor lauter Telefonieren einen Krampf. Ich wechselte und hielt den Hörer ans andere Ohr. »Mein Job macht Spaß, es geht mir gut hier. Und ich glaube, dass Mira sich freut mich bei sich zu haben. Sie tut mir einfach nur Leid. Das ist alles.«
»Okay, einverstanden«, antwortete sie zögernd. »Aber sobald du das Gefühl bekommst, dass dir die Situation über den Kopf wächst, rufst du mich wieder an. Dann schicke ich jemanden rüber, um dich zu holen. Versprichst du mir das?«
»Ja, ich verspreche es.«
Sie pfiff ihr unsichtbares Gegenüber zurück – alles sei in Ordnung – und seufzte. »Arme Mira. Sie hat es mit |151| Menschen noch nie leicht gehabt, schon als wir noch Kinder waren. Sie war einfach immer anders.«
»Nicht so wie du.«
»Oh, ich habe auch einiges durchgemacht«, meinte sie im Plauderton, denn jetzt befand sie sich auf sicherem Terrain: Kiki Sparks wäre nie Kiki Sparks geworden ohne all das, was sie durchgemacht hatte. »Aber bei Mira liegt der Fall etwas anders. Die Menschen hatten schon immer Probleme, sie überhaupt zu verstehen.«
»Mama?«
»Ja.« Wenn wir zwei nur lange genug allein waren oder zumindest mal in Ruhe miteinander sprachen, streifte sie irgendwann ihr Kiki-Getue ab und wurde wieder meine Mama. Aber darauf musste ich immer eine Weile warten.
»Warst du« – ich stockte – »warst du früher auch schon so mutig?«
Stille. Über diese Frage musste sie nachdenken. »Mutig?
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