Crazy Moon
Ich?«
»Red dich nicht raus. Du weißt, dass du mutig bist.«
Wieder dachte sie einen Moment nach. »Aber ich selbst finde mich nicht sehr mutig, Colie. Zum Glück kannst du dich nicht daran erinnern, wie schwierig das Leben oft für uns war, damals in den Fetten Jahren. Ich war nicht immer so stark wie jetzt. Das weißt du nur nicht mehr.«
Doch, ich wusste es noch sehr gut, aber ich hatte nicht vor ihr das auf die Nase zu binden.
»Weißt du, woran es liegt?«, fragte sie unvermittelt. Ich hörte, wie sie sich bewegte, und sah sie in ihrem Hotelbett vor mir, einen Berg flauschiger Kissen im Rücken. »Ich denke zwar schon, dass es mit dem Abnehmen anfing. Dabei wurde ich allmählich mutiger. Aber das war |152| nicht alles. Die wirkliche Veränderung geschah, als die anderen begannen an mich zu glauben. Da waren so viele Frauen, die von mir erwarteten, dass
ich
stark war, dass
ich
es schaffte. Für sie. Um sie zu unterstützen und ihnen zu zeigen, dass man es schaffen kann. Also musste ich einfach so tun als ob.«
»Du hast nur so getan, als wärst du mutig?« Ich traute meinen Ohren nicht.
»Ja, bis ich schließlich selbst daran glaubte. Meiner Meinung nach fangen Mut und Selbstvertrauen nicht einfach aus einem selbst heraus an. Meiner Meinung nach geht das Ganze außen los, dadurch, wie die anderen einen sehen. Und das färbt dann auf dich ab.«
Wie die anderen einen sehen,
dachte ich.
Aha.
»Warum fragst du?« Meine Mutter klang plötzlich misstrauisch. »Was ist los?«
»Nichts. Ich hab nur drüber nachgedacht, einfach so.«
Als Mira runterkam, saß ich am Esstisch und aß mein Müsli. Sie ging zunächst in die Küche, machte Schränke auf und zu, stellte die Kaffeemaschine an und redete dabei mit Kater Norman, der sich allerdings irgendwann zu mir schlich, auf den Tisch sprang, meinen Löffel aus der Schüssel stieß und überall Milch verspritzte.
»Du hältst dich wohl für besonders schlau«, sagte ich, weil er prompt begann die Milch vom Tisch aufzulecken. Genüsslich schlürfend fuhr er mit seiner Zunge über die Tischplatte.
»Guten Morgen!« Mira trat ins Zimmer, munter wie jeden Morgen. Sie hatte die Zeitung unter den Arm geklemmt und balancierte eine randvolle Schüssel mit Honig-Frosties in Milch. »Wie geht’s dir?«
|153| »Gut.« Ich wies auf die Zeitung. »Wie wird dein Tag?«
»Moment.« Sie stellte die Schüssel ab, faltete die Zeitung auseinander und breitete sie auf dem Tisch aus. »Aaah, eine Zwei!« Sie räusperte sich: »Ein guter Tag, um sich zurückzuziehen und in der Stille, allein, nachzudenken. Ein neuer Anfang, neue Ideen, das Überdenken alter Projekte – Großes kommt auf Sie zu.«
»Wow!«
»Du sagst es.« Rasch überflog sie die Seite. »Dein Tag hat leider nur eine Vier plus bekommen. Hör zu: ›Manchmal bewirken Worte mehr als Handlungen. Halten Sie die Augen offen. Ein Fisch könnte wichtig werden.‹«
»Hmmmm.«
Sie drehte sich auf ihrem Stuhl um und warf einen Blick auf den Kalender, der hinter ihr an der Wand hing. »Das Große, das auf mich zukommt – damit ist entweder die Mondfinsternis gemeint oder . . . vielleicht der Flohmarkt der Kirchengemeinde?«
»Oder der Feiertag. Heute ist der vierte Juli.«
»Niemals. Ich mag den vierten Juli nicht. Zu viele Ausflügler, die zu viel Lärm machen. Die Eklipse ist mir als Bedeutung für ›das Große‹ lieber. Oder ergiebiges Stöbern auf dem Flohmarkt.« Sie machte sich über ihre Frosties her und blickte beim Kauen nachdenklich vor sich hin.
»Mira? Was könnte es auf dem Flohmarkt eigentlich geben, das du wirklich noch brauchst?«
»Wie meinst du das?« Sie starrte mich verdutzt an.
»Bei dir stehen schon so viele Sachen rum, die du secondhand gekauft hast«, fuhr ich vorsichtig fort. »Und |154| nichts funktioniert wirklich. Deswegen habe ich gedacht . . .«
»Nichts funktioniert?« Sie ließ den Löffel sinken. »Das stimmt nicht, Colie, alles funktioniert.«
Ich blickte zum Fernseher – FÜR KANAL ELF EIN BISSCHEN WACKELN – und zum Toaster, auf dessen Schild BRENNT SCHNELL AN stand. »Klar«, meinte ich gedehnt, »aber willst du nicht irgendwann auch was haben, das jedes Mal funktioniert, wenn du es brauchst, und zwar richtig?«
Sie starrte durchs Fenster auf die Vogelhäuschen und dachte über meine Frage nach. »Ich weiß nicht«, antwortete sie schließlich, als wäre ihr dieses Konzept völlig neu. »Es hieße ziemlich viel verlangen, wenn man von allem erwarten würde,
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