Crazy Moon
vorsichtig in seiner hohlen Hand, als wäre es ein äußerst kostbares Objekt. »Super, danke!« Dann spannte er die Klarsichtfolie sorgfältig wieder über Platte und Eier.
»Bitte«, murmelte Morgan. Gemeinsam sahen wir ihm nach, wie er zum Vorratslager schlurfte. Als er wieder rauskam und an uns vorbei zurück in die Küche ging, hielt er in der einen Hand einen Beutel Hamburger-Brötchen und in der anderen das gefüllte Ei, vorsichtig wie einen Schatz.
»Das werde ich jetzt richtig genießen«, verkündete er, bevor er in der Küche verschwand.
Morgan seufzte. »Ich bin eine blöde Ziege.«
»Bist du nicht.«
»Doch.« Sie beugte sich über die Platte und zog mit beiden Händen die Klarsichtfolie straff. »Du hast keine Ahnung, wie oft ich schon gefüllte Eier mit zur Arbeit gebracht habe. Und jedes Mal habe ich geheult wie ein Schlosshund. Dieses Mal zwar nicht, aber nur, weil ich sowieso schon die ganze Nacht geflennt habe. Und Norman . . .« Sie wurde fast hysterisch. »Norman ist |158| immer so nett zu mir. Jedes Mal tut er total überrascht, wenn er die Eier sieht, und freut sich und hat noch nie durchblicken lassen, dass er genau weiß, warum ich sie mache.«
Ich starrte auf die Eier.
»Ich will nicht mehr so leben!« Morgan brach schluchzend zusammen. Ihre Schultern bebten so sehr, dass die Löffel hinter ihr zu klappern begannen.
Hilflos stand ich vor der Tränenflut. »Morgan!«
Doch sie hörte nicht auf zu weinen. Norman stand in der Küche, aß sein Ei und beobachtete uns mit ernster Miene.
»Es ist so schrecklich«, stieß sie schluchzend hervor. »Endlich kommt er, endlich sehe ich ihn, aber er . . . er benimmt sich so komisch, so distanziert und will absolut nicht über die Hochzeit reden . . .«
»Morgan.« Ich kam mir vor wie ein Papagei. Was sollte ich bloß tun? Wenn in Filmen so was passierte, lagen sich die Frauen in den Armen und heulten zusammen und trösteten einander, aber ich kam mir gerade vor wie auf einem fremden Planeten. Ich sortierte die Süßstofftütchen.
Sie weinte und weinte. Ich aß ein Ei. Wenn Isabel nicht gekommen wäre, wäre es wahrscheinlich ewig so weitergegangen.
Doch sie betrachtete erst die Eier, dann Morgan, und als sie schließlich sprach, klang ihre Stimme sehr sanft: »Morgan?« Das Ergebnis war, dass Morgan nur noch lauter heulte. Isabel trat zu uns hinter die Theke. Ich ging schnell aus dem Weg. »Morgan, hör auf.«
Morgan weinte immer noch. Sie schluchzte und schniefte und konnte sich einfach nicht beherrschen. |159| Über den Punkt war sie längst hinaus. »Es war furchtbar.« Ihre Nase triefte. »Er ist nicht mal zum Frühstück geblieben . . .« Der Rest ging in erneutem Schluchzen unter.
»Du Ärmste!« Isabel schlang die Arme um sie. »Was für ein Arschloch!«
Mit abgewandtem Gesicht machte ich mich über die Strohhalmpackungen her und stapelte sie neu aufeinander.
»Aber komm mir jetzt nicht mit: Ich hab’s dir doch gleich gesagt.« Morgan hatte ihr Gesicht an Isabels Schulter vergraben, deshalb war nur ein gedämpftes Murmeln zu hören. »Bitte nicht.«
Isabel schüttelte den Kopf und strich Morgan übers Haar. »Keine Bange, ich sage gar nichts.«
»Danke.« Morgan zog die Nase hoch. »Ich weiß, dass du es denkst . . .«
»Ja.« Isabel nickte.
»Sag’s trotzdem nicht.« Morgan richtete sich auf. Ihre Augen waren rot und verquollen, die Ponyfransen klebten an ihrer Stirn fest.
»Ach du liebe Scheiße, was hast du denn mit deinen Haaren angestellt, Morgan?«
»Geschnitten.« Prompt brach Morgan wieder in Tränen aus – die nächste Runde.
»Ich habe dir hundertmal gesagt, du sollst nicht an deinem Pony rumfummeln, wenn du nervös bist.«
»Ich weiß, ich weiß . . .« Morgan versuchte, die Fransen mit ihren Fingern zu lockern, aber sie waren ihr viel zu kurz geraten. »Ich hatte eben einen schlechten Haartag.«
»Kein Problem.« Isabel stemmte die Hände in die |160| Hüften. »Um deine Haare kümmern wir uns später in Ruhe.«
»Okay.« Morgan schniefte nur noch ein bisschen. »Danke.«
Isabel wandte sich den Eiern zu. Sie griff unter die Klarsichtfolie und angelte sich eines, wobei es ihr gelang, Folie und Platte gründlich zu verschmieren, bevor sie sich das Ei in den Mund stopfte.
Ich spürte, dass es Morgan in den Fingern juckte, Isabels Schmiererei zu beseitigen. Aber sie beherrschte sich, ausnahmsweise.
»Komm gleich nach deiner Schicht heim«, sagte Isabel mit vollem Mund. »Wir verpassen dir eine neue Frisur,
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