Crazy Moon
auf Bea Williamson zu. Ich stellte mich zwischen sie und den blau-weißen Klon. Überrascht wich sie einen Schritt zurück, und als ihre Augen zu meinem Lippenring wanderten, erkannte sie mich wieder. Mein Gesicht brannte und ich war drauf und dran, an Miras Stelle das zu tun, was sie selbst nie getan hatte.
Ich holte tief Luft, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie ich anfangen sollte. Aber weiter kam ich ohnehin nicht.
»Colie?«
Mira stand plötzlich unmittelbar neben mir, mitsamt ihrem Fahrrad; in dem Korb an der Lenkstange klemmte ein Toaster aus blitzendem Chrom, der laut Preisschild vier Dollar gekostet hatte. Sie schien Bea Williamson und ihre Freundin nicht einmal wahrzunehmen.
»Können wir los?« Sie legte ihre Hand auf meinen Arm.
Ich starrte Bea Williamson an und war immer noch kurz davor, mit allem, was ich hatte sagen wollen, herauszuplatzen. Doch weil Mira ihr Fahrrad mit dem klappernden Toaster einfach davonschob, als hätte sie nichts gemerkt, blieb mir gar nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
Mit dem Fahrrad zwischen uns liefen wir die Straße zum Last Chance entlang. Jedes Mal, wenn das Fahrrad gegen eine Unebenheit stieß, klirrte der Toaster im Korb laut. Miras restliche Eroberungen – zwei alte Hutschachteln, ein Sessel, der aus einem mit Bohnen gefüllten Sack bestand, aus dem die Bohnen wiederum fröhlich herausrieselten, sowie ein Satz Schraubenschlüssel – hatte sie auf dem Flohmarkt gelassen. Norman würde den Krempel später mit dem Wagen abholen.
|215| Je länger wir gingen, umso mehr ärgerte mich, was soeben passiert war, bis ich es nicht mehr aushielt.
»Mira«, fragte ich sie unvermittelt, »wie erträgst du das bloß?« Im selben Moment raste ein Auto vorbei.
Sie sah mich an, während sie geschickt ein besonders tiefes Schlagloch umschiffte. Der Toaster klapperte munter vor sich hin. »Was ertrage ich?«
»Hier zu sein.« Mit einer weit ausholenden Geste wies ich auf das Last Chance, auf die Tankstelle, auf alles. »Wie erträgst du es bloß, wie dich die Leute behandeln?«
Sie wandte den Kopf und sah wieder geradeaus. »Wie behandeln sie mich denn?« Meinte sie die Frage etwa ernst?
»Du weißt schon, was ich meine, Mira.« Ich wollte gar nicht erst damit anfangen, die Beleidigungen und Spötteleien aufzuzählen. Aber irgendwie musste ich ihr doch klar machen, was ich meinte. »Wie sie über dich reden, über dein Fahrrad, über deine Klamotten. Wie sie dich anschauen und über dich lachen. Ich . . . ich kapiere nicht, wie du das aushältst, jeden Tag, immer wieder. Es muss doch so wehtun!«
Sie blieb stehen, stützte das Fahrrad mit ihren Oberschenkeln ab und blickte mich aus ihren großen blauen Augen an – den Augen meiner Mutter. »Sie können mich nicht verletzen, Colie. Das konnten sie noch nie.«
»Aber wie ist das möglich, Mira? Selbst mir fällt es auf, schon den ganzen Sommer lang. Bea Williamson zum Beispiel. Du kannst mir nicht erzählen . . .«
Sie schüttelte den Kopf: »Bea Williamson kann mir gar nichts. Ich nehme es einfach nicht persönlich. Colie, ich habe in meinem Leben viel Glück gehabt. Ich bin Künstlerin, bin gesund und habe Freunde, die mein Leben |216| bereichern. Darüber freue ich mich. Es gibt nichts, weswegen ich mich beklagen könnte.«
»Aber es muss dich doch so verletzen.« Ich blieb beharrlich bei meiner Meinung. »Du zeigst es bloß nicht.«
»Falsch.« Sie lächelte mich an, als würde ich die ganze Sache viel zu kompliziert sehen. »Schau mich an, Colie.« Sie wies auf ihr weites gelbes Hemd, ihre Leggings, ihre lila Turnschuhe. »Zumindest habe ich immer gewusst, wer ich bin. Ich bin weder wie die anderen noch verhalte ich mich wie sie, deshalb passe ich nicht dazu, aber das ist in Ordnung. Dafür passe ich in meine eigene Welt. Das genügt mir.«
All die Wochen hatte ich geglaubt, wir hätten so viel gemeinsam. Ich hatte mich geirrt.
Sie kletterte auf ihr Fahrrad. Ich blieb am Straßenrand stehen. Mira radelte langsam los, in Richtung ihres Hauses. Kurz bevor sie richtig in Fahrt kam, drehte sie sich um und winkte mir zu; dann rollte sie mit zunehmender Geschwindigkeit den Berg hinunter. Der Fahrtwind ließ ihr Haar und ihr gelbes Hemd wild im Wind flattern, so dass es aussah, als habe sie Flügel, verrückte Flügel, mit denen sie – vor meinen Augen – abhob und flog.
Am frühen Nachmittag desselben Tages klingelte im Last Chance das Telefon, gerade als die Hektik endlich ein wenig abebbte. Ich zog den
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