Crazy Moon
zuerst gar nicht.«
Er hielt beim Reden inne, dachte an die Stimme auf dem Anrufbeantworter. Das Räuspern. Das Warten.
»Was hast du denn gesagt?«
Norman blickte durchs Fenster. »Ich sagte, sie hätten den Mond weggenommen. Ich dachte, sie würden den Mond behalten.«
»Und was machte dein Vater als Nächstes?«
»Er ging mit mir runter in den Garten und meinte, ich solle mich nicht so anstellen und endlich schlafen. Nicht gerade ein rührender Vater-Sohn-Moment.« Er betrachtete das Bild vor sich auf der Staffelei, dann sah er mich an. »Aber ich werde nie vergessen, wie ich mich fühlte, als ich dalag und darauf wartete, dass der Mond wieder auftauchte. Denn ich war mir einfach nicht sicher, ob er zurückkommen würde. Ich wollte daran glauben, genauso wie ich immer daran geglaubt hatte, dass der Mond nie verschwunden sein könnte. Doch es gelang mir nicht.«
»Aber er kam zurück. Irgendwann kam er zurück.«
»Ja.« Er nickte und sah mir direkt ins Gesicht.
Ich wünschte mir, es würde niemals aufhören. Ich hätte ewig dort bleiben können in diesem winzigen Universum, in dem das Radio lief, eine leichte, warme, duftende Brise wehte und Norman mich ansah.
»Es ist komisch, Colie: Selbst wenn du dein ganzes Leben lang gehört hast, dies oder jenes ist die Wahrheit, zum Beispiel, dass der Mond auf jeden Fall wiederkommt, musst du es trotzdem mit eigenen Augen sehen. Du |244| brauchst den Beweis, sonst glaubst du es nicht. Und während du darauf wartest, hast du das Gefühl, die ganze Welt gerät aus dem Gleichgewicht. Total schräg. Aber das Beste kommt am Schluss, wenn alles vorbei ist und er tatsächlich zurückkehrt. Denn das ist alles auf der Welt, was du in dem Augenblick willst. Alles läuft auf diesen einzigen, winzigen Punkt hinaus. Und wenn er dann wiederkommt, ist das wie ein Rausch. So als wäre für eine Sekunde wirklich alles gut mit der Welt. Ein absolut wahnsinniges Gefühl.« Er sah mich an und lächelte. Und zum hundertsten Mal dachte ich im Stillen: Wenn ich nur für lange Zeit, vielleicht sogar für die Ewigkeit, die Chance bekäme, so angelächelt zu werden, wäre ich schon zufrieden.
»Du wirst schon noch sehen, was ich meine.« Er verschwand aus meinem Blickfeld, hinter die Leinwand. »Du wirst es sehen.«
|245| 13
In der zweiten Augustwoche, zwei Tage vor Miras Mondfinsternis, kam Morgan eines Tages, als Isabel und ich zusammen Schicht hatten, mit einem Plan ins Last Chance hereingeschneit.
»Ich fahre nach Durham, um Mark zu überraschen!« Morgan hatte sich Unmengen Locken ins Haar gedreht und Schminke aufs Gesicht geklatscht. Sie trug einen coolen Rock und eine Bluse, die ich beide noch nie an ihr gesehen hatte. »Kannst du für mich einspringen, Colie?«
»Das ist mein Rock«, sagte Isabel.
Morgan blickte an sich runter. »Du hast mir die zwanzig Kröten, die ich dir geliehen habe, damit du ihn dir kaufen kannst, sowieso noch nicht zurückgegeben. Außerdem passe ich gut darauf auf, versprochen.«
Isabel schnappte sich knurrend eine Wasserkaraffe und marschierte zu ihren Tischen.
»Übernimmst du meine nächsten Schichten?«, fragte Morgan mich hoffnungsvoll. »Zumindest heute Abend und morgen Mittag? Falls ich länger fortbleibe, rufe ich an.«
»Klar.« Ich hatte ohnehin nichts vor, außer Norman Modell zu sitzen natürlich. »Kein Problem.«
|246| »Ich bin so aufgeregt!«, sagte Morgan. Isabel kam zurück und knallte die Karaffe wieder auf die Theke. »Die Termine ändern sich dauernd, man kann nie exakt vorhersagen, wann welches Spiel stattfindet, aber als ich heute die Zeitung wegen meines Horoskops durchblätterte, entdeckte ich, dass sein Team morgen Abend in Durham gegen die Bulls spielt.« Die Worte sprudelten förmlich aus ihr heraus. So hatte ich sie noch nie erlebt. »Seit er mich am vierten Juli besucht hat, warte ich auf eine Chance, ihn genauso zu überraschen wie er mich. Außerdem habe ich eine irre Idee.« Eifrig beugte sie sich vor.
»Ja?«, sagte ich. Isabel steckte ihren Kopf zwischen unsere.
»Was für eine irre Idee?«, fragte sie.
Morgan spielte kokettierend mit ihren Locken. »Ich weiß nicht, ob ich es euch jetzt schon sagen soll . . .«
»Du sollst.« Isabels Gesicht war sehr ernst. »Verrat mir deine irre Idee.«
»Ich bin bloß drauf gekommen, weil das Hochzeitsthema uns bisher nur Stress gebracht hat, Mark und mir. Dabei ist das ganze Tamtam lächerlich, völlig überflüssig. Die Zeremonie, die Feier – das ist mir alles völlig
Weitere Kostenlose Bücher