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Crazy Moon

Crazy Moon

Titel: Crazy Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Dessen
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alleine klar.«
    Ich stand auf, weil ich unauffällig hinausgehen wollte, bis er fertig war. Doch er hielt mich mit einer Handbewegung zurück ohne sich umzudrehen.
    Sogar über die Entfernung hinweg hörte ich, dass der Mensch am anderen Ende seine Stimme erhob. Norman schloss die Augen.
    »Was immer du sagst, Dad.« Jetzt erst wandte er sich zu |250| mir um. Ich sah ihn an und er erwiderte meinen Blick ohne auszuweichen. Zwischen uns war nichts, keine Leinwand, kein Anlass, nichts. »Von mir aus kannst du sagen, es sei dir egal, so oft du willst. Aber wer von uns beiden ruft denn jeden Abend an, Dad? Du.«
    Stumm hielt er den Hörer ans Ohr. Jetzt hörte ich nichts mehr. Nach einer Weile legte er auf.
    »Norman?«
    Er senkte den Kopf und schnippste mit dem Finger etwas Farbe von seinem Arm.
    »Es tut mir Leid. Ich wollte dich nicht . . .«
    »Vergiss es.« Er schüttelte den Kopf. »Kein Problem.«
    Er kehrte zur Staffelei zurück und verschwand hinter der Leinwand. Er wirkte erschöpft. Im Traum hatte er sich hin und her gewälzt. Und ich hatte ihn heimlich dabei beobachtet. Hatte er damals, im Traum, das Gesicht seines Vaters vor sich gesehen?
    Ich setzte mich wieder und schob die Sonnenbrille auf meine Nase. Wir schwiegen.
    »Ich bin der Einzige von uns dreien, der nicht genau das tut, was er für uns geplant hat«, sagte Norman unvermittelt. »Das mit der Kunst hat ihn von Anfang an wahnsinnig gemacht. Dabei hat er keine Ahnung. Seine Vorstellung von Kunst beschränkt sich auf röhrende Hirsche vor kitschigen Sonnenuntergängen.«
    Ich musste grinsen. Der Wind blies durch die geöffnete Tür, das Geodreieck-Mobile setzte sich in Bewegung. Die Dreiecke und Lineale stießen mit sanftem Klirren aneinander. Norman schaute hoch und wiegte bedächtig den Kopf hin und her.
    »Es gefällt mir, echt.« Ich zeigte auf das Mobile.
    »Wirklich? Außer Kunst war Geometrie das einzige |251| Fach in der Schule, das ich mochte. Weil es so simpel und symmetrisch ist. Klare Lehrsätze, unveränderliche Bedingungen. Keine Zweifel.«
    »Das versteh ich gut.«
    »Bei Geometrie kann man sich darauf verlassen, dass alles immer gleich bleibt. Das gefiel mir.« Er hielt, den Pinsel locker in der Hand, die Augen nach wie vor auf das Mobile gerichtet, das sich über uns drehte, drehte, drehte. »Ich könnte das Teil hier hängen lassen und eine Million Jahre weggehen, und wenn ich zurückkäme, wäre es genauso wie vorher.« Er sah mich an und lächelte. Ich spürte sein Lächeln bis in die Zehenspitzen.
    »Das gefällt mir«, wiederholte er.
    Eine Zeit lang herrschte Stille, nur die Blätter der Bäume vor dem Fenster raschelten leicht. Ich fühlte mich für das, was gerade geschehen war, verantwortlich. Und ich wollte, dass wir quitt waren. Manchmal war es nicht nur ein Lächeln, das man sich verdienen musste.
    »Norman.«
    »Ja.« Er rieb sich die Augen. Es war spät. Aber ich musste es tun. Jetzt. Meine Zungenspitze fuhr über die Innenseite meiner Lippe, über meinen Ring. Ich holte tief Luft.
    »Weißt du noch, wie du mich vor ein paar Wochen, als wir mit dem Porträt anfingen, mal gefragt hast, ob es in meinem Leben nicht auch ein paar Sachen gibt, über die ich nicht reden will?«
    Er wischte den Pinsel mit seinem Hemdzipfel ab. »Ja.«
    »Es gibt da tatsächlich so einiges.« Ich zog die Beine an und nahm die Sonnenbrille ab. »Das, was du diesen Sommer von mir gesehen hast – das bin gar nicht ich. Oder besser: Das ist nicht die Person, die ich war.«
    |252| Er sah mich irritiert an.
    Ich fuhr mit den Fingern über den verschlissenen blauen Bezug des Sessels und sprach zögernd weiter: »Da wo ich wohne, in Charlotte, kann mich kein Mensch ausstehen.«
    Ich hatte gehofft, er würde mich aufhalten, aber er tat es nicht, was mir noch mehr Angst einjagte. Ich wünschte mir, Mira würde neben mir auftauchen, mich am Ellbogen fassen und behutsam davonführen, wie sie es auf dem Gemeindeflohmarkt gemacht hatte. Mich vor den Worten bewahren, die als Nächstes aus meinem Mund fallen würden. Aber ich war auf mich allein gestellt.
    Ich schluckte. »Ich war mal richtig fett. Und wir sind ständig umgezogen, von einer Stadt zur nächsten, bis wir in Charlotte landeten. Dort verbreitete jemand das Gerücht, ich hätte mit diesem Jungen geschlafen. Aber das stimmte gar nicht. Ich kannte ihn nicht mal richtig. Wir haben uns bloß unterhalten und . . .«
    »Colie . . .«
    »Nein.« Ich unterbrach ihn mit fester Stimme.
    Draußen kam wieder

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