CREEKERS - Thriller (German Edition)
Bändchen an ihm vorbeisegelte.
Hatten die Römer nicht die Zukunft aus Tiereingeweiden gelesen? Das war eine absurde Überlegung, aber sie passte ins Bild. Was hielt die Zukunft für ihn bereit? Wie konnte sie irgendwo hinführen, wenn er jetzt dorthin zurückkehrte, wo alles angefangen hatte. Meine Zukunft, gelesen aus Opossumgedärm …
Hinter dem nächsten Streifen Farmland, einer ansteigenden Ebene zerlumpter Kornfelder, erspähte er Krazee Sallee’s, den örtlichen Stripclub. Das von Glühbirnen eingerahmte Schild versprach GO-GO-GIRLS UND BIER ZUM MITNEHMEN! Selbst so früh am Tag standen bereits mehrere Pick-ups auf dem Schotterparkplatz hinter dem Haus. Nur eine Meile entfernt verkaufte Bouton seinen Farmbedarf und noch eine Meile weiter die Straße runter landete man bei Crick Citys edlem Vier-Sterne-Vorzeigerestaurant, Chuck’s Diner. Dort gab es zwar keine Gänsestopfleber oder gebratene Wachteln, doch der Hackbraten war gar nicht so schlecht. Phil überholte einige Bummler am Seitenstreifen, ein paar Rednecks in Overalls und den berüchtigten Mann ohne Arme, an den Phil sich noch aus Kindheitstagen erinnerte. Der Kerl marschierte jeden Tag vom Crownville-Wohnwagenpark zu Snoots Spirituosenladen, kaufte eine Flasche Bushmills Whiskey und trabte wieder zurück. Jeden Tag, wie ein Uhrwerk. Und es waren immerhin gut fünf Meilen hin und fünf zurück. Der Kerl muss inzwischen um die 100 sein , dachte Phil erstaunt. Manche Dinge ändern sich eben nie .
Eine weitere Kurve später …
Noch ein Fußgänger stiefelte den Seitenstreifen entlang. Hügelvolk, schloss Phil mit geübtem ersten Blick. Der Junge, vielleicht 17 oder 18 Jahre alt, war hochgewachsen und schlaksig und bewegte sich in einer merkwürdigen Gangart vorwärts, so wie jemand mit einem schiefen Knie. Langes schwarzes Haar hing ihm in fettigen Strähnen vom Kopf und von Weitem sah das Gesicht des Jungen wie ein einziger Schmutzfleck aus. Ich hoffe, der Kerl ist unterwegs, um sich ein Stück Seife zu kaufen . Seine Kleidung bot weitere Anhaltspunkte für seine Herkunft: Sie klebte an seinem Körper wie stinkende Lumpen und war mühsam zusammengeflickt mit Wachstuch, alten Handtüchern und Stücken anderer Kleidung. Ja, der ist einer vom Hügelvolk , war Phil sich sicher, bis …
Phil schauderte.
… bis Phil nahe genug herangekommen war, um die verräterischen Merkmale zu bemerken.
Himmel, sein Gesicht …
Das Gesicht des Jungen schwoll auf der einen Seite nach vorne, die andere Hälfte sah aus, als wäre sie eingesackt. Die verbogene Nase wies ein Nasenloch von der Größe eines Nagelkopfes auf, während das andere gar zum Umfang eines Vierteldollar-Stücks aufgebläht war. Der Teenager hatte keine Augenbrauen.
Und die Augen selbst …
Ein Creeker …
… waren rot .
So wurden sie hier genannt. Leute vom Creek. Vom Fluss. Creeker. Die extremste Abart von Hinterwäldlern. Man sprach oft über sie, doch man bekam sie selten wirklich zu Gesicht (in all den Jahren, die Phil hier gelebt hatte, waren sie ihm nur wenige Male über den Weg gelaufen). Die Creeker waren über Generationen hinweg von Inzucht geprägt, so stark, dass nahezu alle von ihnen schwerwiegende körperliche Missbildungen aufwiesen. Deformierte Köpfe und Gesichter. Unterschiedlich lange Arme und Beine. Verschieden große Augen. Phil hatte gehört, dass manche von ihnen sogar ganz ohne Augen geboren wurden, andere dagegen ohne Mund.
Um die Tragödie noch schlimmer zu machen, waren geistige Defekte ebenso offensichtlich. Manche Creeker konnten überhaupt nicht sprechen, und diejenigen, die es konnten, waren nur dazu imstande, sinnlose Wortfetzen auszustoßen. Wie das Hügelvolk waren die Creeker das schmutzige Geheimnis jedes abgelegenen Provinzkaffs – ignoriert und ausgestoßen, als ob sie gar nicht existierten.
»Na, da ist er ja. Ich dachte fast schon, du würdest mich hängen lassen«, sagte Chief Mullins hinter seinem riesigen, chaotischen Schreibtisch. Phil war verblüfft. Das Polizeirevier von Crick City war viel kleiner, als er es in Erinnerung hatte, eng und stickig. Durch das hintere Fenster konnte er das winzige Gefängnis sehen, daneben parkte Mullins’ Pontiac Bonneville, aufgewertet mit Sirene und Blaulicht. Jagdtrophäen hingen an der Wand über den verbeulten Aktenschränken, daneben die Ernennungsurkunde des Chiefs zum obersten Gesetzeshüter der Stadt. Das Papier, einst strahlend weiß, war im Laufe der ungezählten Jahre, die es dort hing, stark
Weitere Kostenlose Bücher