Creepers - Der Fluch der Hexe
Vorstellung, dass Christians Leben in Mr. Geyers Händen zerfiel.
Margaret verdrehte die Augen. »Vielleicht, wenn er mit dem Abschreiben fertig ist. Bis dahin lässt er das Tagebuch garantiert nicht aus dem Haus.«
Das konnte ich gut verstehen. Ich würde es vermutlich auch nicht aus den Händen geben. Wir breiteten die Fotosvon den Grabsteinen vor uns aus. Es waren mindestens um die hundert Bilder, und Margaret und ich sollten diejenigen mit den interessantesten Gravuren und Namen auswählen. Die Bilder würden ein ziemlich deprimierendes Fotoalbum abgeben, dachte ich unwillkürlich, außer vielleicht an Halloween.
Es vergingen mindestens zwei Stunden, in denen wir unsere Sammlung auf zwanzig Fotos zurechtstutzten, um damit unsere beiden Plakate zu dekorieren. Wir hatten Grabsteine mit Sanduhren, Totenschädeln, Fledermäusen, Engeln, Sonnen und Monden – aber keinen mit Efeu. Wir wählten mehrere Grabsteine von Kindern; einer von ihnen trug eng untereinandergequetscht die Namen von vier Kleinkindern mit jeweils aufeinander folgenden Todesjahren. Andere Grabsteine gehörten Müttern, die jung verstorben waren, oder jungen Männern, die auf hoher See ertrunken waren. Wir entschieden uns für Grabsteine, die einem Tränen in die Augen trieben, wenn man sich die Lebensgeschichten dieser Menschen vorstellte. Plötzlich kam mir der Gedanke, dass Friedhöfe eigentlich vollgestopft waren mit Leben.
»So habe ich Friedhöfe noch nie betrachtet«, erwiderte Margaret nachdenklich. Mir war nicht bewusst gewesen, dass ich den Gedanken laut ausgesprochen hatte. Sie blickte auf. Ihre grünen Augen waren ungetrübt, trotz der Bilder des Todes, die unter ihren Händen ausgebreitet lagen. Ihr zufriedenes Lächeln milderte die harte Entschlossenheit, die für gewöhnlich ihre Züge kennzeichnete. »Ich glaube, wir haben die besten Fotos ausgewählt. Kannst du die beiden Plakatträger holen, Courtney? Sie stehen im Wohnzimmer, unter dem Fenster beim Eingang.«
»Klar«, erwiderte ich. »Wir werden dieses Bauprojekt stoppen, Margaret«, verkündete ich, während ich mich erhob. An diesem Nachmittag würde ich für Margaret kämpfen – dafür, dass Margaret in Murmur bleiben würde.
Ich zwang mich, unserem kleinen Medienereignis hoffnungsvoll entgegenzublicken. Es musste einfach klappen. Außerdem hatten wir jede Menge faszinierender Informationen zu bieten, und wenn Mr. Geyer den Leuten in seiner typisch dramatischen Art davon erzählte, waren die Zuhörer garantiert gefesselt. Während ich nach den Plakattafeln griff, warf ich einen Blick aus dem Fenster, in der Hoffnung, eine der wilden Katzen zu erspähen, die die Geyers fütterten, doch was ich in diesem Moment auf den Waldrand zulaufen sah, war keine Katze, sondern eine Frau.
Sprachlos beobachtete ich, wie sie quer über die Lichtung in Richtung Wald lief. Womöglich hatte sie genau vor diesem Fenster gestanden, bevor ich mich von innen genähert hatte.
Die Frau war nicht für einen schwülen Augusttag gekleidet. Sie trug einen langen schwarzen Rock und eine schwarzeBluse mit langen Ärmeln. Ein schwarzer Mantel flatterte mit jedem ihrer Schritte unruhig hinter ihr her. Ihr langes schwarzes Haar fiel ihr offen über die Schultern. Ich musste an Christians Tagebuch denken und an die Hexe, deren Haar so schwarz war wie die Flügel einer Krähe.
»Margaret«, rief ich heiser. Ich konnte nicht lauter sprechen.
»Courtney, was ist denn?«, entgegnete Margaret. Ihre Stimme klang weit entfernt.
Die Frau schien mich zu hören. Sie blieb stehen, drehte sich um und sah entweder mich oder das Haus an. Sie schien keine Angst zu haben. Stattdessen hob sie ihr Kinn, so wie Margaret es immer tat, wenn sie sich provoziert fühlte. Selbst von meinem Platz am Fenster aus konnte ich erkennen, dass die Frau jung war und sehr helle Haut hatte, so wie Margaret, und ebenso durchdringend grüne Augen. Sie war wunderschön.
Sie nickte und war verschwunden.
»Margaret!«, schrie ich. Meine Stimme kehrte in voller Lautstärke zurück. »Hast du sie gesehen? Sie läuft in den Wald!« Ich dachte nicht nach. Ich griff nach der Klinke, riss die Tür auf und rannte auf den Waldweg zu, so schnell ich konnte. Ich hätte schwören können, dass ich das Flattern eines Umhangs sah.
»Courtney!«, rief Margaret mir von der Tür aus hinterher. »Bitte jag sie nicht. Bitte komm zurück!« In dem Moment wares mir nicht bewusst. In Margarets Stimme lag Angst, aber ich konnte einfach nicht
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