Creepers
beschrieben. Diese hypnotischen Augen.«
Auf dem Foto lächelte Carlisle, ebenso wie der junge Mann neben ihm, der kaum zwanzig Jahre alt war. Ein schmales Gesicht, ein dünner Körper. Selbst das Haar, seitlich kurz geschnitten, am Oberkopf aber voll, betonte noch seine Magerkeit. Im Gegensatz zu Carlisles Augen waren die des jungen Mannes nicht ausdrucksvoll. Ebenso wenig war es sein Lächeln; es schien einzig und allein an der Oberfläche zu existieren.
»Ronnie«, sagte Amanda angewidert.
Baienger sah sich das Foto genauer an.
Die mit dunklem Holz vertäfelte Wand im Hintergrund entsprach der Inneneinrichtung des Hotels. Trotz der Zuneigung in Carlisles Lächeln hielt der ältere Mann einen gewissen Abstand zu dem Jüngeren; beide Arme hingen an seinen Seiten herab. Der Pullover des jungen Mannes hatte einen runden Halsausschnitt, über den der Hemdkragen gezogen war - es erinnerte Baienger an den Kleidungsstil, den man in Filmen der 1960er Jahre zu sehen bekam. Der junge Mann hatte ein unscheinbares Gesicht, das an den Wangenknochen und am Kinn weich wirkte.
Amanda zeigte auf das Bild. »Der andere Mann war Ronnies Vater.«
»Carlisle? Nein, das ist unmöglich.«
»Ronnie hat immer darauf bestanden, dass dies sein Vater ist.«
»Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Carlisle je geheiratet hat.«
»Was nichts zu bedeuten hat«, sagte Vinnie von der Tür des Überwachungsraums her. Er und Cora hatten die restlichen Sprengladungen entschärft. »Der Sohn kann ja auch das Ergebnis einer Affäre gewesen sein.« »Aber Carlisle war ein Beobachter. Eine romantische Affäre kommt mir eher uncharakteristisch vor.« »Es sei denn, eine von den Frauen, die er beobachtet hat, hätte ihn inspiriert.« Cora kam ins Zimmer und sah sich das Foto an. »Carlisle. Jetzt kriegen wir ihn also endlich mal zu sehen. Das Ungeheuer, das für das Paragon Hotel verantwortlich war. Wie kann jemand, der so verdreht war, so attraktiv aussehen? Ich wette, dieses Arschloch war in seinen besten Jahren absolut unwiderstehlich. Diese Augen. Eine willige Partnerin zu finden, das dürfte ihm nicht schwer gefallen sein.«
»Oder vielleicht eine Partnerin, die nicht willens war«, sagte Vinnie.
Baienger schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Eine Vergewaltigung, das passt nicht ins Bild. Selbst halb betäubt hätte sich das Opfer noch wehren können. Und Carlisle muss große Angst vor Kratzern und Schrammen gehabt haben - er hätte die Blutung nicht stoppen können.« »Aber wenn Carlisle einen Sohn gehabt hätte, hätte er's in dem Tagebuch doch erwähnt«, sagte Cora. »Nicht, wenn der Sohn ein illegitimes Kind war«, sagte Vinnie. »Vielleicht hätte er die Sache dann lieber geheim gehalten.«
Baiengers Stimme klang zweifelnd. »Es passt immer noch nicht ins Bild. Nach allem, was ich über Leute mit Hämophilie gehört habe, entscheiden viele von ihnen sich dafür, keine Kinder zu bekommen, aus Angst davor, dass sie die Krankheit weitergeben könnten.« Amanda zeigte nachdrücklich auf das Bild. »Ronnie hat mir erzählt, dass das sein Vater ist.«
»Wie alt ist das Foto?«, fragte Cora.
Baienger öffnete die Spangen auf der Rückseite des Rahmens, nahm die Platte heraus und studierte die Rückseite des Fotos. »Da steht ein Entwicklungsdatum. 31. Juli 1968.«
»Carlisle war damals also achtundachtzig.«
Baienger hörte das helle Krachen eines Blitzes ganz in der Nähe. »Amanda, du hast gesagt, Ronnie ist über fünfzig. Das bedeutet...«
Vinnie war mit der Rechnung schneller fertig. »Siebenunddreißig Jahre. Ich würde sagen, auf dem Foto ist er zwischen neunzehn und dreiundzwanzig - sagen wir zwanzig. Dann wäre er jetzt also um die siebenundfünfzig. Himmelherrgott, wir werden zu fünft doch wohl mit ihm fertig werden.«
»Er ist stark«, sagte Amanda mit Nachdruck. »Todd, ist irgendwas auf den Überwachungsbildschirmen zu sehen?«
»Nur noch mehr Ratten.«
»Ich hab den Aufzug im Auge.« Vinnie spähte durch den Raum mit der medizinischen Ausrüstung in den Trainingsraum hinüber.
»Amanda, was hat Ronnie dir sonst noch erzählt?«, fragte Baienger.
»Er hat damit geprahlt, dass er noch nie Schwierigkeiten gehabt hätte, Freundinnen zu finden. Er hat mir oft die Namen aufgezählt.«
»Namen?« Baiengers Hände fühlten sich kalt an. »Iris, Alice, Vivian, Joan, Rebecca, Michelle. Und noch eine Menge mehr. Immer in der gleichen Reihenfolge. Die Liste hat sich nie geändert. Er hat sie oft genug wiederholt, dass ich
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