Crescendo
seiner neuen Aufgabe. Nach der Besprechung stellten sich die beiden Beamten vor, die für ihn arbeiten sollten, und er erklärte, dass er einen von ihnen als Basis in London haben wolle, während der andere am nächsten Morgen mit ihm nach Telford fahren solle, wo Griffiths zur Schule gegangen war. Brown erklärte sich freiwillig bereit, vor Ort zu bleiben, und Knots widersprach nicht. Fenwick überließ ihnen die alten Akten zum Einlesen und machte dann einen Spaziergang durch die versmogte Londoner Luft, um nachzudenken.
TEIL DREI
Warum nur musste auf dieses schöne Gewebe eines Frauenlebens, empfindlich wie Gaze und bislang nahezu weiß wie Schnee, solch ein grobes Muster gezeichnet werden wie jenes, das das Schicksal ihm zugemessen hatte …
Thomas Hardy
Ein Mann hütet das Geheimnis eines anderen besser als sein eigenes, eine Frau dagegen hütet ihre eigenen Geheimnisse besser als die der anderen.
Jean de La Bruyère
Kapitel einundzwanzig
Er war wieder allein. Bei Tagesanbruch hatte er die schlafende Wendy verlassen und war auf seinem Motorrad zurück zum Cottage gefahren. Er vermied es, Auto zu fahren, wenn es nicht unbedingt erforderlich war, obwohl er diese Aversion niemals mit seiner Vergangenheit in Verbindung brachte. Denn das hätte bedeutet, dass er sich die Möglichkeit einer Schwäche eingestehen musste, und das hatte er noch nie getan.
Seine Stimmung war düster. Er hatte sie lebend zurückgelassen, man stelle sich vor! Er hatte sich oben auf der Klippe ausgemalt, wie sie wieder zu Bewusstsein kam, wie das Wasser in der klaustrophobischen Dunkelheit der Höhle langsam anstieg, bis sie ertrank, und war überzeugt gewesen, dass sie tot war. Das war alles Griffiths’ Schuld. Schließlich hatte er nur deshalb beschlossen, im Freien zu arbeiten, weil er Gründe für Griffiths’ Berufungsverhandlung liefern wollte. Es hätte leicht sein müssen, aber es war ihm seltsam schwer gefallen. Im Freien gab es zu viele Unwägbarkeiten. Was, wenn jemand vorbeigekommen wäre? Bei ihnen zu Hause war das etwas anderes, denn dort hatte er alles unter Kontrolle, und er konnte sich so viel Zeit lassen, wie er wollte. Das war das nächste Problem. Es hatte schnell gehen müssen. Er hatte kaum angefangen, sich zu amüsieren, da hatte er schon wieder aufhören müssen. Trotzdem wäre vielleicht alles zu seiner Zufriedenheit verlaufen, wenn er sein Messer nicht verloren hätte.
Zum Glück hatte er Griffiths nichts von dem Mädchen in Wales erzählt, daher blieb der Fehler sein Geheimnis. Seine Frustration vermischte sich mit einer Niedergeschlagenheit, die er nicht abschütteln konnte, und sein Zorn wuchs. Der Zorn setzte Kraft und Energie frei. Er spürte jetzt, wie sich beides in ihm aufbaute. Eine Entscheidung stand an. Sollte er noch einmal versuchen, Griffiths’ unbeholfenen Stil zu kopieren, oder sollte er sich wieder auf seine Methode verlegen?
Im Cottage tigerte er im Wohnzimmer auf und ab, zerhackte die Luft mit der Hand, als halte er sein verlorenes Messer. Als ihm der Einfall kam, musste er lächeln, so genial fand er ihn. Die besten Lösungen waren doch immer die einfachsten. Er musste jünger wirken, deshalb würde der Schnurrbart, den er seit einiger Zeit hegte und pflegte, wieder verschwinden müssen. Das war nicht schlimm. Er konnte sich innerhalb einer Woche einen überzeugenden Bart wachsen lassen. Die Koteletten hatte er länger gezüchtet, nun rasierte er sie ab. Er duschte gründlich, entfernte mit einem kräftigen Peeling-Gel Hautschuppen und lose Körperbehaarung. Es bestand immer das Risiko, dass diese Vorsichtsmaßnahme nicht ausreichte, doch bislang war er erfolgreich gewesen, und sein Vertrauen in die Methode war gewachsen.
Nun kamen die letzten Feinheiten an die Reihe: Er wählte die Farbe der Kontaktlinsen und die Kleidung aus, diesmal nicht zu elegant. Er war nicht mehr in London, und der Stil, durch den er dort unauffällig war, würde ihn hier draußen von der Masse abheben, trotzdem musste er einigermaßen cool aussehen – eine stonewashed Jeans und ein schwarzes T-Shirt waren genau das Richtige. Die Schuhe mussten robust sein und sich für einen längeren Marsch eignen, denn er würde nicht mit dem Motorrad fahren, aber er hatte ein Paar mit dicker Sohle, das auch noch modisch aussah. Schließlich nahm er eine Perücke mit kurzen Dreadlocks aus einem Schrank und suchte seinen Brillantohrstecker heraus, um die Gesamtwirkung zu vervollkommnen.
Die Vorfreude steigerte sich.
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