Crescendo
Sie nahm das Badetuch und fegte die restlichen Scherben von der Fensterbank, wickelte es dann um eine Hand und schlug die noch festen Scherben aus dem Rahmen. Sie weinte jetzt, schluchzte und wimmerte vor sich hin, als sie auf das Waschbecken stieg, eine Spur hellrotes Blut auf dem weißen Email hinterließ und laut um Hilfe schrie. Die Straße vor dem Haus war verlassen. Der beruhigende Streifenwagen, der den ganzen Tag da draußen gestanden hatte, war verschwunden, und die Bürgersteige waren menschenleer. Ein lautes Klacken ertönte von der Tür hinter ihr und der Riegel flog davon.
Er packte sie, als sie gerade ein Bein über das Fensterbrett geschwungen hatte.
»Hilfe! Hilfe, bitte Hilfe!«, schrie sie in die leere Luft. Seine Hände schlossen sich um ihren Knöchel, und sie trat so fest sie konnte nach ihm, kämpfte um ihr Leben.
»Nein!« Ginny klammerte sich an den Fensterrahmen, spürte nicht, wie die scharfen Glaskanten ihr in die Handflächen schnitten.
Ein Lieferwagen bog um die Straßenecke, während sie sich noch festhielt. Sie wollte ihn durch Willenskraft zum Anhalten zwingen, achtete nicht auf den bohrenden Schmerz, der in ihrem Rücken und entlang der Oberschenkel eingesetzt hatte. Er schlug jetzt auf sie ein, fester und fester.
»Hilfe! Mummy, hilf mir!«
Der Lieferwagen fuhr vorbei, und sie konnte sich nicht mehr halten, ihre blutigen Finger rutschten über die glatte Keramikfläche. Sie fiel zurück ins Zimmer. Da war überall Blut. Es musste ihr gehören. Er hatte sie nicht geschlagen. Er hatte sie in den Rücken gestochen. Panik schüttelte sie, und sie wehrte sich, trat wieder nach ihm, so hart sie konnte, obwohl ihre Beine schwächer wurden.
Sie fühlte sich benommen. Ihre Schreie schienen aus weiter Ferne zu kommen. Er war jetzt über ihr, versuchte, ihre Jeans zu öffnen. Sie wand sich, aber sein Gewicht drückte sie nieder. Er würde sie nicht bekommen. Wenn sie starb, und mit einer unheimlichen Klarheit wurde ihr bewusst, dass sie sterben würde, dann nicht, nachdem ihr dieses Tier noch einmal Gewalt angetan hatte.
Der Hass verlieh ihr neue Kraft, und sie konnte plötzlich wieder denken. Glasscherben von der zersplitterten Fensterscheibe lagen auf dem Boden herum. Sie bekam eine zu fassen und hielt sie fest. Ihr Arm fühlte sich unglaublich schwer an, als sie mit der Scherbe nach seinem ungeschützten Hals stach, während er gerade nach unten sah, um seine Finger in ihre Jeans zu schieben.
Es war ein jämmerlich schwacher Hieb, aber er riss ihm eine lange, klaffende Wunde in die Wange. Er schrie auf und fluchte. Eine Hand fuhr hoch zu seinem Gesicht, und Ginny sah, dass sich seine Augen beim Anblick seines eigenen Blutes entsetzt weiteten. Sie stieß erneut zu, und ein triumphierendes Lachen stieg gurgelnd aus ihrem Mund, trieb ihn zur Raserei.
Sie spürte, wie sich seine Hände um ihren Hals schlossen, als sie mit letzter Kraft ein weiteres Mal zustieß. Der gläserne Dolch schnitt tief in seinen ungeschützten Hals, dann fiel ihr Arm herab. Das Letzte, was sie hörte, bevor das dunkle Flügelschlagen in ihrem Kopf alle anderen Geräusche ertränkte, war sein langer, gequälter Aufschrei, und sie lächelte.
TEIL VIER
Wenn eine Frau nicht fähig ist, zum Schutze des Mannes, den sie liebt, eine gute Lüge zu erfinden, hat sie die Bezeichnung Ehefrau nicht verdient.
Elbert Hubbard
Rachsucht erfüllt mein Herz, Tod meine Faust, Blut und Verderben toben mir im Haupt.
William Shakespeare
Kapitel neunundzwanzig
»Weiß sie denn, dass wir kommen?« Fenwick fühlte sich eigenartig. Trotz der Hitze fröstelte ihn; vielleicht bekam er eine Erkältung.
»Ja. Ich habe klipp und klar drei Uhr gesagt.« MacIntyre blickte Fenwick finster an und bereute schon, dass er dem Commander versprochen hatte, wegen des Drucks vom Innenministerium Profilerin Ball persönlich aufzusuchen.
Sie traf um fünf Minuten nach drei ein und überging den ärgerlichen Blick des Superintendent mit einem Lächeln. In ihrem Büro vergaß MacIntyre alle Diplomatie und fragte sie eindringlich, für wie wahrscheinlich sie es hielt, dass Täter A und B sich persönlich kannten.
»Ich halte es für möglich, Superintendent, wie auch schon in meinem Bericht erwähnt, aber mit Sicherheit lässt sich das nicht sagen. Es könnte ein Zufall sein, dass zwei Täter ihren Opfern einen Finger abschneiden, dass sie exakt denselben Frauentyp wählen – Aussehen, Alter, Körperbau –, und in denselben Städten Frauen
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