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Crescendo

Crescendo

Titel: Crescendo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Corley
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alle Formen verzerrt wirkten. Sie konnte unmöglich sagen, ob da draußen irgendetwas Ungewöhnliches war, weil heute Nacht alles fremd aussah.
    Sie ging zur Toilette, wartete, bis das Geräusch der Wasserspülung verklungen war, und tappte dann zu dem oberen Flurfenster über der Haustür. Von hier aus hatte sie einen guten Blick über ihren wieder neu angelegten Garten. In der warmen Nacht war alles ruhig und still.
    Als sie wieder in ihrem Bett lag, schlief sie sofort ein und träumte nicht.
     
    Wer hätte gedacht, dass Mondlicht so hell und gleichzeitig so verwirrend sein konnte? Das hügelige Waldgebiet lag wie unter Flutlicht, taghell, nur dass alle Farbe durch undurchdringliche Schattenflächen ersetzt worden war. Kaninchenlöcher, Wurzeln und alte Baumstümpfe warteten nur darauf, jede unbedachte Bewegung mit einem Sturz zu bestrafen. Er saugte an den Kratzern auf seinem Handrücken und trat erbost die Dornenranken beiseite.
    Smith war zuversichtlich aufgebrochen. Trotz des Abends im Pub war er mit klarem Kopf auf die Straße getreten. Der Weg, den man ihm beschrieben hatte – eine alte, von Unkraut überwucherte Teerstraße –, war leicht zu finden gewesen, allerdings viel weiter vom Ort entfernt, als er erwartet hatte. Um halb eins war er auf das schmale Asphaltband getreten und hatte sich noch immer so frisch gefühlt wie beim Verlassen des Ortes. Nur sein Hals und sein Kiefer machten ihm jetzt noch zu schaffen. Ansonsten war er so fit wie eh und je.
    Beim Gehen hatte er gespürt, wie seine von der langen Autofahrt steif gewordenen Gliedmaßen sich allmählich entkrampften. Die ersten Meilen bewältigte er so mühelos, dass seine Aufmerksamkeit nachließ. Als der Mond dann wieder hinter den Wolken hervorlugte, hatte er feststellen müssen, dass er sich verlaufen hatte. Vor ihm lag keine bewaldete Hügellandschaft. Stattdessen roch er Stechginster und hörte ein gutes Stück weiter unten das Rieseln eines Baches.
    » Wenn Sie das kleine Tal erreichen, sind Sie schon zu weit. Und kommen Sie nicht auf die Idee, nachts am Bach lang Richtung Quelle zu gehen, das ist unmöglich. «
    Also hatte er ein Stück zurückgehen müssen, bis er den Pfad entdeckte, der von der geteerten Straße abging und den er beim ersten Mal übersehen hatte. Inzwischen war es ziemlich spät geworden. Er blieb stehen und öffnete seinen Rucksack. Nach kurzem Suchen fand er die Dose mit der Notverpflegung, die er jede Woche neu auffüllte. Er aß die Schokolade, trank dazu einen Energydrink und spürte, wie seine Entschlossenheit zurückkehrte. Es konnte nicht mehr weit sein. Irgendwo hörte er warnend einen Fuchs bellen, dann herrschte wieder Stille im Wald.
    Man hatte ihm gesagt, dass Mill Farm in einer Senke auf der anderen Seite des Berges lag, an einem Bach, der früher einmal stark genug gewesen war, um das schwere, hölzerne Mühlrad anzutreiben. Er musste also über den Berg hinüber und dabei stets darauf achten, dass das Geräusch des Meeres rechts von ihm blieb. »Gehen Sie nicht zu nahe an die Klippe«, hatte der Mann gesagt, »die ist tückisch, besonders nachts. Die Tante von der jungen Frau hat sich da runtergestürzt.«
    Er zog eine schwere schwarze Filzrolle aus dem Rucksack und hielt das vertraute Gewicht in den Händen. Es klimperte leise, als Metall gegen Metall stieß. Er breitete den Filz auf den Knien aus, nahm nacheinander jedes Messer einzeln in die Hand und streichelte es. Seit Wales verwahrte er sein Werkzeug immer sicher im Rucksack. Der Verlust des Taschenmessers hatte ihn gewurmt.
    Es amüsierte ihn, dass ein Taschenmesser für so harmlos gehalten wurde. War es schön scharf und spitz, konnte es mühelos zwischen Rippen gleiten und tief eindringen. Zum Schneiden, Schlitzen und Zerteilen eignete es sich so gut wie jede andere scharfe Klinge. Für sein besonderes Vorhaben heute Nacht hatte er seine Kollektion natürlich erweitert. Er hatte ein Stanley-Messer dabei, die schärfste Klinge, die er besaß und die sich gut zum Ritzen eignete. Ein Fahrtenmesser mit gezacktem Rand und ein Skalpell mit einer ungemein feinen, austauschbaren Rasierklinge, das er in einem Künstlergeschäft gekauft hatte.
    Es beruhigte ihn, die Finger über den kalten Stahl gleiten zu lassen. Das Gefühl von Orientierungslosigkeit verging, und er konnte wieder klar denken. Er rief sich in Erinnerung, dass er in nicht mal einer Stunde etwas in die Tat umsetzen würde, was ihn seit Monaten beschäftigte. Die Vorstellung war belebend.

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