Crescendo
Messer, bereit zum Einsatz. Sie versuchte, sich an ihre Selbstverteidigungskurse zu erinnern. Augen und Weichteile, das sind die empfindlichen Punkte. Mit ihren eingeklemmten Armen konnte sie sein Gesicht nicht erreichen, aber ihre Hände mussten ganz nah an seinem Schritt sein.
Er hatte sich etwas höher geschoben, um sie besser würgen zu können. Sie stieß eine Hand nach unten, fand seine Hoden und quetschte sie. Smith schrie vor Schmerz auf, und sein Griff lockerte sich. Sie konnte ihre Arme hochreißen und nach außen drücken, sich aus seiner Umklammerung befreien. Dann rammte sie ihm sicherheitshalber noch einmal das Knie in den Schritt und rollte sich weg, war jetzt auf allen vieren und rang nach Luft.
Er war schneller auf den Beinen, als sie gedacht hatte, und er griff sofort nach seinem Messer.
»Ganz wie du willst, du verdammtes Miststück. Dann stirbst du eben hier und jetzt.«
Er wollte ihr in die Rippen treten, aber sie schwankte zur Seite, hielt die Augen auf ihn und das Messer in seiner Hand gerichtet. Es war ein Fahrtenmesser mit einer etwa fünfzehn Zentimeter langen Klinge. Nightingale wusste, was für Verletzungen ein solches Messer anrichten konnte, und sie weigerte sich, die Möglichkeit zu akzeptieren, dass er das mit ihr machen würde.
»Versuchs doch, du krankes Schwein.« Sie hob schwankend den Oberkörper und setzte einen Fuß auf, um sich hochzuhieven, aber sofort drehte sich ihr alles, deshalb stützte sie sich wieder mit den Händen ab, wie ein verletzter Stier, angeschlagen, aber noch nicht besiegt.
Er lächelte jetzt, umkreiste sie und schwang sein Messer.
»Mach mir nichts vor. Du bist doch halb wahnsinnig vor Schiss.«
Sie stieß ein Lachen aus, das zwar nicht echt klang, ihr aber gut tat. Dieser Mann wollte sehen, wie sie verängstigt um ihr Leben bettelte, ehe er sie tötete. Aber da hatte er sich verrechnet. Jetzt, wo das Schlimmste passierte, war sie von einem neuen Mut erfüllt, der aus ihrem Wunsch zu leben entsprang.
»Du lächerliche Figur.« Sie wollte ihn provozieren, damit er näher kam und sie ihm mit der Feuerzeugflamme das Gesicht verbrennen konnte, aber er hielt Abstand. Er beschrieb jetzt langsam und genüsslich, was er mit ihr machen würde, vor und nach ihrem Tod. Sie achtete nicht auf die Worte und ließ ihn reden, weil sie damit Zeit gewann, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Unauffällig tastete sie den Gegenstand in ihrer Hand ab, suchte nach dem Zündrädchen und dem Drücker. Als sie nichts spürte, außer glatter Fläche und einem Metallrand, riskierte sie einen kurzen Blick nach unten.
Es war gar kein Feuerzeug, es war ein Taschenmesser. Zuerst war sie enttäuscht, weil sie sich so darauf konzentriert hatte, die Flamme zu entzünden und ihn zu versengen. Doch dann wurde ihr klar, was sie da hatte, und neue Hoffnung erfüllte sie. Ein Messer, um gegen ein Messer zu kämpfen. Damit waren die Chancen zwar noch nicht gleich verteilt, aber sie spürte, wie ihr Selbstvertrauen zurückkehrte. Ein Vorteil für sie würde sein, dass sie keine Angst mehr hatte, denn sie glaubte kaum, dass je eines seiner Opfer wütender und entschlossener gewesen war als sie. Sie ließ das Taschenmesser aufschnappen.
Plötzlich sprang er auf sie zu. Sie rollte sich blitzschnell zur Seite ab und landete in der Hocke. Er setzte nach, das Messer in der ausgestreckten Hand, um zuzustechen. Sie wartete, bis er nah genug war, dann wich sie seitlich aus und stieß mit ihrer eigenen Waffe nach unten. Ein überraschter Schrei ertönte, und sie sah Blut auf ihrem Arm. Er hatte sie verletzt, aber auch an ihrem Messer war Blut, und sie sah, dass er an seinem Handgelenk saugte und mit der anderen Hand in der Hosentasche wühlte.
»Das ist mein Messer, verdammt!« Die Empörung in seiner Stimme stand in keinem Verhältnis zu der lächerlich kleinen Klinge.
»Dann komm und hol’s dir.« Sie stand jetzt, taumelte zwar wie eine Betrunkene, aber spürte in sich eine nie gekannte Wildheit.
Sie starrte ihm in die Augen, hob den Arm an den Mund und kostete ihr eigenes Blut. Die Geste hatte nichts Ängstliches oder Verstörtes an sich, nein, sie hinterließ blutige Schlieren auf Kinn und Wangen und färbte ihre Zähne rot. Der Geschmack von Eisen und Salz weckte in ihr das primitive Verlangen, dem Menschen, der sie verletzt hatte, Schmerz zuzufügen. Anscheinend spiegelte sich etwas davon auf ihrem Gesicht, denn Smith machte einen Schritt zurück, blieb stehen und musterte sie
Weitere Kostenlose Bücher