Crescendo
schlechtes Gewissen geflissentlich ignoriert.
»Hallo, Claire. Schön, dass du anrufst.« Er zwang sich, herzlich und locker zu klingen.
»Hast du Zeit zum Lunch, Andrew? Ich weiß, es ist ein bisschen kurzfristig, aber ich würde wirklich gern mit dir reden.« Ihr Tonfall klang so dringend, dass er das Gesicht verzog.
Er sah auf die Uhr am Armaturenbrett – Viertel vor zwölf. Er hatte absolut keine Lust, zu Mittag zu essen. Das Gespräch mit Nightingale würde auch ohne Termindruck schon schwierig genug werden.
»Wie wär’s mit einem späten Lunch, um halb zwei?«
»Nein. Ich hab um zwei einen Termin. Früher ist nicht drin?«
Ihre Hartnäckigkeit war untypisch, und er gab aus schlechtem Gewissen nach.
»Also schön. Ich ändere meine Pläne, und wir sehen uns um zwölf, im Dog and Duck.«
Als er Nightingale anrief, um zu sagen, dass er später käme, klang sie gleichgültig, als hätte sie sich innerlich schon von ihrem Job gelöst. Panik stieg in ihm auf, dass er sie durch die Terminverschiebung vielleicht nicht mehr zum Bleiben würde bewegen können, doch er verwarf den Gedanken gleich wieder als übertrieben. Dennoch war er ungeduldig und leicht gereizt, als er Claire in dem fast leeren Pub an dem Tisch sitzen sah, wo sie bisher immer gesessen hatten. Zwei Gläser standen auf dem Tisch: eins mit Tomatensaft und eins mit Weißwein.
Er gab ihr einen Kuss auf die Wange, nahm Platz und rang sich ein Lächeln ab.
»Schön, dich zu sehen. Gibt es ein Problem? Du hast dich so angespannt angehört.«
Claire hob die Augenbrauen auf eine Art, die ihn allmählich reizte.
»Das kann nicht sein, Andrew, zumindest habe ich mich nicht ›angespannt‹ gefühlt.« Sie hielt inne, ein alter Psychologentrick, aber Detectives wussten noch besser, was Schweigen bewirken konnte, vor allem bei den Schuldigen, und Fenwick sagte nichts. Die anhaltende Stille wurde zunehmend peinlich.
Schließlich blickten sie beide von ihren Gläsern hoch und lachten.
»Also gut.« Claire zuckte die Achseln. »Das bringt uns nicht weiter, und wir sind beide zu beschäftigt, um so unsere Zeit zu vertun.«
»Stimmt, aber ich habe keinen Schimmer, worüber du reden möchtest, also wirst du anfangen müssen.«
»Ich möchte über uns reden, Andrew, na, eigentlich über dich.«
Fenwick spürte, wie seine Gesichtszüge sich verhärteten.
»Verstehe.«
»Wirklich?« Sie hatte einen Ausdruck im Gesicht, als kenne sie die Antwort schon, was ihn an seine Mutter erinnerte und nicht gerade beruhigte. »Das Problem ist, dass mein Gefühle für dich in den letzten Wochen stärker geworden sind. Ich hab dich schon immer gemocht, aber jetzt ist es mehr, und das macht mir Angst, weil ich immer noch nicht weiß, wie du zu mir stehst. Bevor es mit uns weitergeht, muss ich wissen, was ich dir bedeute.« Ein Hauch Verletztheit hatte sich in ihre Stimme geschlichen, und Fenwick wand sich innerlich.
Sie blickte ihn forschend an, aber jetzt wusste er erst recht nicht mehr, was er sagen sollte. Ihre offensichtliche Verunsicherung tat ihm Leid, aber er konnte nichts daran ändern.
»Möchtest du noch eins?« Er deutete auf ihr leeres Glas. Sie verzog das Gesicht und blickte zum Fenster hinaus. Als er von der Theke zurückkam, starrte sie noch immer entschlossen nach draußen.
»Claire, es tut mir Leid. Was willst du von mir hören?«
»Ich erwarte ja keine fertig ausformulierte Antwort. Aber es wäre schön, wenn du irgendeine Art von Gefühl zeigen könntest, abgesehen von peinlich berührter Verlegenheit – darin bist du übrigens sehr gut. Ich glaube, du traust dich nicht zu zeigen, wie es wirklich in dir aussieht.« Ihre Stimme wurde scharf. »Aber vielleicht ist da ja auch gar nichts, und du machst dir nur nicht besonders viel aus anderen Menschen.«
Fenwick trank einen Single Malt mit Wasser und bemühte sich, seinen Ärger zu unterdrücken. Er hasste solche Gespräche. So unerwartet es auch kam, die Freundschaft, von der er geglaubt hatte, dass sie für sie beide locker und unverfänglich war, schien Claire jetzt einiges mehr zu bedeuten.
»Ich dachte, wir hätten Spaß miteinander. Ich wusste nicht, dass du uns als ernste Beziehung gesehen hast. Ich wollte dir ganz bestimmt nicht weh tun.«
»Aber du hast mich doch darin bestärkt!« Sie wandte den Blick vom Fenster ab und fixierte ihn mit Augen, die ihm sein unschuldiges Kopfschütteln nicht abkaufen wollten. »Doch, das hast du. Im Bett hast du … Wie sollte ich das denn anders
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