Crescendo
Hand. Ihr Siegelring zierte den kleinen Finger.
Nightingale schloss die Augen und spürte, wie ihr auf der Stirn und im Nacken der Schweiß ausbrach. Er rann ihr den Rücken hinunter. Wer konnte sie so sehr hassen?
In der Küche trank sie ein Glas Leitungswasser, was ihren Magen wieder ein wenig beruhigte. Nach dem Schock spürte sie jetzt eher Wut als Angst. Der Gedanke, dass der Stalker sich stundenlang damit beschäftigt hatte, dieses Foto zu kreieren, war zwar zutiefst verstörend, aber sie war nicht gewillt, sich dadurch zum Opfer machen zu lassen. Jetzt hatte sie keine andere Wahl, als den Albtraum zu melden, mit dem sie seit einiger Zeit lebte, und die Folgen hinzunehmen. Gleich am nächsten Morgen würde sie ihren PC mit aufs Präsidium nehmen.
Um vier Uhr nahm sie Tabletten gegen die hämmernden Kopfschmerzen. Blackie ließ sich nicht blicken, aber das war nicht verwunderlich. Er war ein unabhängiges Tier und tauchte selten auf, wenn er keinen Hunger hatte. Sie öffnete eine Packung Räucherlachs und teilte den Inhalt zwischen einem Sandwich und Blackies Schüssel auf, wobei der Kater etwas mehr abbekam als sie selbst.
Als sie gerade ihr Sandwich gegessen hatte, klingelte es an der Tür, und sie erstarrte instinktiv. Sie blickte durch den Spion, konnte aber im Flur und auf der Treppe niemanden sehen. Als sie die Wohnungstür öffnete, lag auf der Fußmatte ein großes Paket mit braunem Packpapier, auf dem ihr Name in Großbuchstaben stand. Es war nicht mit der Post gekommen, sondern persönlich gebracht worden, und ihr sträubten sich die Nackenhaare, als ihr die schlimmste Möglichkeit einfiel. War ihr Stalker in der Lage, ihr eine Paketbombe zu schicken?
Sie nahm das Paket und legte es in der Diele auf den Boden, schloss dann die Tür und verriegelte sie. Es wäre eine große Dummheit, das Paket zu öffnen, doch sie war in einer fahrlässig fatalistischen Stimmung. Nachdem sie es lange angestarrt hatte, holte sie ein Messer aus der Küche, schnitt das Klebeband durch und entfernte das Papier.
Zum Vorschein kam ein Karton, der dick in Zellophan eingewickelt war. Ein schlechtes Zeichen, aber sie ignorierte es und setzte vorsichtig das Messer an, bis sie wusste, wie sich der Deckel öffnen ließ. Sie hielt inne und holte Bettdecke und Kopfkissen, die sie wie Sandsäcke um den Karton arrangierte. Dahinter stapelte sie die Sofapolster und eine Schaumstoffmatratze.
Auf einmal bemerkte sie einen merkwürdigen Geruch, der zunehmend penetranter wurde. Danach zu schließen, war der Inhalt des Pakets eher unangenehm als gefährlich. Trotzdem verkrampfte sie sich, als sie den linken Arm mit dem längsten Messer, das sie finden konnte, durch eine Lücke zwischen den improvisierten Sandsäcken schob.
Zunächst bewegte der Deckel sich keinen Millimeter, doch sie blieb geduldig und hebelte ihn rundherum Stück für Stück höher, bis er endlich herunterflog. Der Gestank war unerträglich. Sie musste würgen, als sie die Polster beiseite schob und in den Karton blickte.
»Oh nein.«
Nightingale holte alte Zeitungen und legte sie in einer dicken Schicht auf dem Fußboden aus. Tränen trübten ihre Sicht, als sie den Inhalt vorsichtig aus dem Karton hob, als hätte sie Angst, dem Wesen darin noch mehr Schmerzen zuzufügen, aber Blackie war eindeutig tot. Sein Mörder hatte ihm den Bauch aufgeschlitzt, so dass ein Teil der glitschigen, grauen Eingeweide herausrutschte, als Nightingale das verfilzte Fellbündel behutsam auf den Boden legte.
Der Gestank lenkte sie ein wenig von ihrer Trauer ab. Blackie war anscheinend furchtbar gequält worden. Wer sich an solch einer Folter ergötzte, konnte nur ein Sadist der schlimmsten Sorte sein. Sie riss sich aus ihrer Traurigkeit, indem sie ihre ganze Wut auf den Täter richtete.
Als es ein zweites Mal klingelte, packte sie das lange Küchenmesser und riss die Tür auf, bereit, es mit dem Scheißkerl aufzunehmen, der das getan hatte.
Cooper wich entsetzt vor Nightingale und dem Gestank zurück, der ihm entgegenschlug.
Unter den gegebenen Umständen reagierten sie dann jedoch beide bemerkenswert ruhig.
»Kommen Sie rein.« Als er zögerte, packte Nightingale seinen Arm beunruhigend fest und zerrte ihn über die Schwelle.
»Schauen Sie lieber nicht hin, es ist Blackie. Irgendwer hat mir gerade die Leiche in einem Paket geschickt.«
»Was?« Er blickte sie verdattert an.
»Meine Katze. Jemand hat sie gequält und getötet und sie mir in einem Paket vor die Tür gelegt.
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