Crescendo
Vorstellung, wie panisch sie werden würde, wenn er sie bei Bewusstsein und mit offenen Augen unter die Wellen drückte, hatte seiner Hand Einhalt geboten. Und es war erregend gewesen, sie kämpfen zu sehen, während die Luftblasen aufstiegen und ihr Meereswasser in die Lunge drang.
Er hatte sie dreimal untergetaucht, jedes Mal bis sechzig gezählt und sie dann würgend und nach Luft schnappend hochgezogen, um sie dann wieder unter Wasser zu drücken. Beim vierten Mal hatte er bis hundert gezählt, und als er sie hochzog, waren ihre Augen geschlossen geblieben. Aber nachdem er sie in ihr Felsengrab gesteckt hatte, meinte er, er habe sie husten gehört. Das hatte ihn nicht gestört, im Gegenteil, die Vorstellung, dass sie bei Bewusstsein war, während das Wasser um sie herum stieg, erregte ihn erneut. Er stellte sich ihre Klaustrophobie vor, während das Wasser ihr langsam über die Knie bis zur Taille stieg und schließlich in Nase und Mund drang. Er musste plötzlich an den Tod seiner Mutter denken, und die Verbindung zwischen den beiden Frauen bescherte ihm ein neues Szenario für seine Phantasien.
Das Wasser stand jetzt ein gutes Stück über der Höhlenöffnung, und es wurde Zeit, dass er verschwand. Das Mädchen würde bald vermisst werden, und man würde noch im Laufe der Nacht mit der Suche beginnen. Dann musste er weit weg sein. Seit seiner einzigen ernsthaften Begegnung mit der Polizei war er übervorsichtig geworden. An dem Mädchen würden keine Spuren zu finden sein, und an ihm sicherlich auch nicht, aber an einen einzelnen Mann, der abends noch mit Rucksack unterwegs war, könnten sich vielleicht manche erinnern.
Es war wirklich ein Jammer, dass er sein Messer verloren hatte, und er verfluchte Griffiths erneut. Sein Talisman war verschwunden. Es hatte ihm immer Glück gebracht. Und er war abergläubisch genug, den Verlust als schlechtes Omen zu sehen.
Die Spitze des Felsens verschwand, und er stand mit einem zufriedenen Seufzer auf. Er stopfte seine Sachen in eine Plastiktüte und packte sie in den Rucksack, drückte seine Zigarette aus, steckte die Kippe in die Tasche und wandte dem Meer den Rücken zu.
Kapitel achtzehn
Nightingale war trotz ihrer einfachen Küchenausstattung ein üppiges Sonntagsmahl gelungen. Es gab reichlich Wein, und Amelia nahm von allem nach. Anschließend schlug Nightingale einen Verdauungsspaziergang vor. Der Sommer war zurückgekehrt, und laut Wettervorhersage sollte er auch vorerst bleiben. In dem ummauerten Garten lag die Temperatur um die dreißig Grad.
»Wirklich erstaunlich, dass Sie erst sechs Wochen hier sind. Was Sie in der Zeit alles geschafft haben. Ach, was für eine wunderschöne wilde Orchidee.«
Ihr Gast schlenderte ein Stück vor ihr her, mit einem breiten, nostalgischen Lächeln im Gesicht. Nightingale beobachtete sie und ließ ihren Erinnerungen Zeit.
»Es muss herrlich hier gewesen sein, vor dreißig Jahren.«
»Oh ja, das war es.« Amelias Stimme klang wehmütig.
»Warum meine Großeltern das Haus wohl meiner Tante und nicht meinem Vater vermacht haben?«
»Er wollte hier nicht leben. Das Dorf war ihm zu klein.« Amelia pflückte an der Mauer einen langen Halm wildes Gras und kaute nachdenklich darauf herum. »Es war Zeit für ihn, von hier wegzugehen.«
»Warum?«
Amelia blickte sie mit zusammengekniffenen Augen an.
»Na gut, wenn Sie’s unbedingt wissen wollen, Ihr Vater hatte eine Schwäche für hübsche Frauen. Er hat es vor seinen Eltern jahrelang verborgen, aber irgendwann geriet es außer Kontrolle, und er hat sich eine Reihe Feinde gemacht. Als Ihre Großeltern in die Stadt zogen, haben sie Ihre Tante gebeten, sich um Mill Farm zu kümmern. Wogegen Ihr Vater nichts einzuwenden hatte. Seine Schwiegereltern hatten ganz in ihrer Nähe ein sehr hübsches Haus für die Jungvermählten gemietet.«
»Haben Sie ihn sehr geliebt?«
Amelia tat einen raschen, kurzen Atemzug und schwieg. Nightingale ließ die Stille tiefer werden, weil sie hoffte, dass ihr Gast dem Bedürfnis nachgeben würde, sich nach all den Jahren jemandem anzuvertrauen. Schließlich sprach Amelia.
»Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Alle Mädchen wollten mit ihm gehen, aber er entschied sich für mich. Wir waren einen ganzen Sommer zusammen. Im Herbst hatte er eine andere Freundin, und das ging bis zum Weihnachtsball. Die dritte Beziehung dauerte bis Ostern und die vierte, bis er zu irgendeinem Festival getrampt ist.
Als er wiederkam, brachte er drei Mädchen mit,
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