Crime
hab da so einen Riecher, hattest du Bob Toal erklärt.
Toal hatte seine berüchtigte Sauertopfmiene aufgesetzt. Er wusste, dass du irgendwas im Schilde führtest. Du hattest irgendwie den Verdacht, dass es hier nicht um einen typischen Fall von Kindesmissbrauch ging; dein Bauch sagte dir, dass die Spur nicht zu einem Kinderschänder klassischen englischen Zuschnitts führen würde. Du hattest die Fahndungsfotos sämtlicher Pädophilen in der Kartei durchgesehen: Priester, Lehrer und Pfadfinderführer, die bösen Onkels, die Stiefväter, die der guten Gelegenheit nicht widerstehen konnten, und die perversen leiblichen Väter mit ihren arroganten Rechtfertigungen, die einen frösteln ließen. Keiner von ihnen passte ins Muster. Das Verbrechen passte eher in die USA , in einen amerikanischen Roman vielmehr (denn du nahmst an, dass die amerikanischen Durchschnittsverbrechen auch nicht so anders waren als die in England). Aber das kulturelle Muster war amerikanisch: ein einsamer Drifter, ein Raubtier, nur eben nicht unterwegs auf endlos langen und einsamen Highways, sondern in einem weißen Van auf den verstopften, lärmenden Straßen Großbritanniens.
Du fuhrst zum Flughafen, stiegst klammheimlich in einen Flieger nach Gatwick und nahmst von dort einen Zug nach Eastbourne, wo George Marsden lebte. Er hatte nach dem Nula-Fall seinen Abschied genommen, jetzt installierte er Alarmanlagen und beriet ängstliche Rentner. George war ihm nie wie ein Einzelgänger erschienen. Ex-Soldat von den Royal Marines, Golfkriegsveteran. Geschieden, hielt sich kerzengerade, die Statur eines Rugbyspielers, strubbeliger Schopf mit dichtem grauen Haar und ein fideles Lächeln, das vermuten ließ, dass er nicht allzu viele einsame Nächte erlebte. Alles von seinen Bügelfalten bis zu den frisch gereinigten Hemden wies ihn als jemanden aus, der sich stur an die Vorschriften hielt. Nur hatte er, nachdem die Beweislage keinerlei Sinn ergeben hatte, den Glauben an sie verloren.
Bei einem Espresso in einem Café schautest du mit George gemeinsam seiner potenziellen Klientel hinterher, die draußen über die Promenade schlenderte, während er dir erklärte, Ellis sei damals in Welwyn der böse Jungevom Dienst gewesen. Der charismatische und clevere junge Mann war nicht direkt ein Schwerverbrecher, doch irgendwie schaffte er es immer, Gefolgsleute um sich zu scharen. Ellis hatte einige Straftaten begangen, hauptsächlich Einbrüche, doch es gab auch eine Anklage wegen Vergewaltigung, die mangels Beweisen fallen gelassen worden war. Zwar gab es nichts, was ihn mit Minderjährigen in Verbindung brachte, aber er machte es einem leicht, ihn zu verabscheuen– er war ein Arschloch, wie es jedes Gemeinwesen hervorbringt. Keiner, weder Polizei noch Öffentlichkeit, würde ihm nachtrauern, wenn man ihn für lange Zeit wegsperrte. Nula Andrews war das genaue Gegenteil: zart und zerbrechlich, das Gesicht einer Elfe, ein unschuldiges Kind, das viel jünger aussah als seine zwölf Jahre. Du erinnertest dich an das Bild, das von ihr kursierte, diese leuchtenden Rehaugen, die sich der britischen Öffentlichkeit einbrannten. Nula war auf dem Weg gewesen, ihrer Tante beim Renovieren zu helfen. Nula war das perfekte Rotkäppchen für Ellis, den bösen Wolf. Damit wurde Robert Ellis zum meistgehassten Mann Großbritanniens: er war ein Huntley, ein Brady. Und dann hatte er auch noch auf ziemlich kranke Art ungefragt so was wie ein Geständnis abgelegt.
Aber was immer Ellis sein mochte, hier war er nicht der Täter. Niemand konnte George Marsden das einreden, und die Berufsehre veranlasste ihn, seinen Abschied zu nehmen, wodurch seine Polizeilaufbahn mit einem Misston endete. Er hegte einen beunruhigenden Glauben an Gut und Böse. Wenn man das religiös nennen wollte, war es zumindest nicht die Art von Nummer-sicher-Religiosität, die Leute praktizierten, die sonntags pro forma in die Kirche sprangen. George besprach also mit dir den Fall Nula Andrews, die Parallelen und die Unterschiede zu Britneys Fall. Dann spracht ihr über Stacey Earnshaw, die in der Nähedes Salford Shopping Centre entführt worden war.– Das war nicht Ellis, sagte George mit Nachdruck.
Jede Stadt brachte Typen wie Ellis hervor. Bob Toal wollte unbedingt irgendeine Verbindung zwischen einem aus Edinburgh und Britney sehen. Er hatte jahrelang immer wieder irgendwas von Rücktritt geraunt und wollte jetzt, wo die Pensionierung nicht mehr aufzuhalten war, noch mal gut dastehen. Teile der
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