Crime
Bildränder abzusuchen, all die Ecken und Winkel, in denensich jemand verborgen haben könnte. Versuchtest anhand von Britneys Kopfhaltung nachzuvollziehen, wohin sie schaute, die Welt mit ihren Augen zu sehen. Wie ein fiebriger Goldsucher durchsiebtest du die Datenflut und hofftest, irgendwo ein Pixel-Nugget zu finden, das einen Hinweis auf die Identität des Entführers hätte liefern können. Niemand bei der Lothian and Border Police wusste mehr über Sexualstraftäter als du. Und niemand war mehr gewillt, das Netz immer weiter zu spannen.
Während du dir immer wieder die Schwarz-Weiß-Bilder von dem verträumten Mädchen ansahst, ging dir permanent der Name Robert Ellis durch den Kopf, ein Mann, der seit mittlerweile drei Jahren wegen des Mordes an zwei jungen Mädchen, eins in Welwyn Garden City, Hertfordshire, das andere in Manchester, hinter Schloss und Riegel saß. Britneys Fall schien viele Gemeinsamkeiten mit den Morden an Nula Andrews und Stacey Earnshaw zu haben. Wie vorherzusehen, hatte Ellis seine Unschuld an diesen abscheulichen Verbrechen beteuert.
Der andere, der dir wieder in den Sinn gekommen war, war George Marsden, ein Mitglied des Ermittlungsteams in Hertfordshire, das Robert Ellis für die Entführung und Ermordung der zwölfjährigen Nula eingebuchtet hatte. Die Ermittlungen hatten ergeben, dass Ellis sich regelmäßig in dem Park herumtrieb, in dem das Mädchen das letzte Mal gesehen worden war, auf einem Weg zwischen den Bäumen, auf dem man zum Haus ihrer Tante kam.
George war jedoch felsenfest davon überzeugt, dass sie den falschen Mann erwischt hatten. Es gab Parallelen zu dem Fall Stacey Earnshaw, deren Leiche zwei Jahre vorher in den Wäldern des Lake District abgelegt worden war. Als die Hertfordshire Police Ellis einkassierte, stellte man fest, dass er eine Freundin in Preston hatte, die er zur Zeit des Mordes an Stacey regelmäßig besucht hatte. Die Freundin,Maria Rossiter, verriet ein paar eher banale Details über ihre Beziehung mit Ellis einer Boulevardzeitung, die sie dramatisch aufblies und mit wilden Spekulationen würzte. Zusammen mit einem verstörenden Tape, das Ellis unfreiwillig selbst aufgenommen hatte, reichte das, um alle Welt von seiner Schuld zu überzeugen. George Marsden war sicher, dass dieselbe Person, die Nula Andrews entführt hatte, sich auch Stacey Earnshaw in Manchester geschnappt hatte. Nur war er felsenfest überzeugt, dass es nicht Ellis gewesen war. In Welwyn Garden City war ein weißer Van beobachtet worden, der zum Zeitpunkt von Nulas Verschwinden vom Park weggefahren war. Nun saß Ellis im Knast, und der Mann mit dem weißen Van war wieder da.
Als du gegen 9Uhr zur Uhr an der Wand hochschautest, machte sich bereits eine irritierende Schwere in deinem Körper bemerkbar. Es waren jetzt mehr als vierundzwanzig Stunden seit Britneys Verschwinden vergangen. Du fasstest den Entschluss, deinen brennenden Augen eine Pause zu gönnen, dir im Stockbridge Deli noch einen schwarzen Kaffee zu holen und dann George Marsden anzurufen. Ihr standet in freundschaftlichem Kontakt, seitdem ihr euch vor ein paar Jahren nach einer Fortbildung zum Thema DNS – Proben in Harrogate gemeinsam einen angetrunken hattet.
– War’s ein weißer Van?, fragte George beiläufig, nachdem du den Fall grob umrissen hattest. Du musstest grinsen, hast aber dieses Detail weder bestätigt noch abgestritten; du hofftest, dein Schweigen wäre nicht allzu beredt.
Die kleine Pause schien sich sofort heilsam bemerkbar zu machen, als du dich wieder dem Videomaterial zuwandtest. Wieder trat Britney aus ihrem Hauseingang und machte sich auf den Weg, aber diesmal fiel dir auf, dass sie jemandem halb zuzuwinken schien; eine verstohlene Geste zu jemandem, der sich ihr von rechts näherte. Eine Vergrößerung des Bilds bestätigte diese Vermutung. Die betreffende Person war außer Sicht, steuerte aber den Hauseingang an. Du studiertest die Liste der Hausbewohner. Dann sahst du im Verzeichnis für Sexualstraftäter nach. Der Name Tommy Loughran sprang dir sofort ins Auge.
Als du mit Notman runter zum Wohnblock der Hamils fuhrst, stellte sich heraus, dass Loughran der Mann war, der knapp außerhalb des Bildes gewesen war. Er hatte gestern Morgen seinen Hund ausgeführt. Und er war der Topkandidat des gemeinen Volks: die Stimmabgabe erfolgte in Form von Ziegelsteinen durch seine Fensterscheibe, und die Wahlkampfslogans waren auf seine Hauswand geschmiert:
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