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Crime

Crime

Titel: Crime Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvine Welsh , Pößneck GGP Media GmbH
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Bekloppte, dem alle aus dem Weg gehen wollen, denkt er mit dem Frohsinn der Verzweiflung. Dann ruft er die Kellnerin und zahlt. Lennox spürt, wie seine Schultern vor nervösem Lachen zittern, doch als er vom Tisch aufsteht, laufen Tränen unter seiner Sonnenbrille heraus– schrecklich dicke, salzige Tränen, die in der Hitze auf seinen Wangen trocknen und kitzeln.
    Fast ohne zu merken, dass er die Zeitschrift und das Notizbuch mitgenommen hat, läuft er die Straße hinunter. Alles, woran er denken kann, ist der Drink, den er braucht. Er braucht nicht nur den Drink, sondern auch den Ort , um ihn zu trinken. Die Sonne ist hinter den Saum von Wolkenkratzern um die Biscayne Bay gesunken, und Schwebeteilchen trüber Dunkelheit verdichten sich in der warmen Luft um ihn herum.
    Er geht weiter, ohne klare Vorstellung, was oder wohiner will. Das Gehen tut gut. Sich Dinge ansehen. Menschen. Gebäude. Autos. Reklametafeln. Läden. Wohnhäuser. Er läuft weiter, bis er spürt, wie in der Hitze die Erschöpfung einsetzt, die Muskulatur seiner Beine sich verhärtet und verkrampft. Er ist immer noch in einer strandnahen Urlaubergegend, doch er hat die weniger hohen Hotels im Kolonialstil des Art-déco-Distrikts hinter sich gelassen und kommt nun in eine Gegend mit hässlichen, ordinäreren Touristenunterkünften. Klotzige Bettenburgen und riesige Wohnblocks sind um die Golfplätze und Badestrände in die Höhe geschossen.
    Lennox überlegt, wie lange man wohl zu Fuß bis zu Ginger nach Fort Lauderdale braucht. Ziemlich lange, wenn es denn überhaupt möglich wäre. Erst da kapiert er, dass es sich bei den zahllosen grün-weißen Pfählen, an denen er vorbeigekommen ist, um Bushaltestellen handelt. Die Leute auf der Wartebank sind eher nicht-weiß und nicht-reich, im Gegensatz zu den Insassen der vorbeiströmenden Cabrios. Sie scheinen ihn mit leichtem Unbehagen anzusehen. Das ist ihm egal. Ein Bus kommt, er steigt ein, orientiert sich an einem bleistiftdünnen Schwarzen vor sich und schiebt ebenfalls etwas, dass er für einen Eindollarschein hält, in einen Automaten.
    – Das ist ein Fünfer, Freundchen   … der ist futsch, der Fahrer schürzte geringschätzig die Lippen,– und Geld zurück gibt’s nicht. Du hast grad dreieinhalb Dollar verplempert, Mann.
    Lennox nickt und sucht sich einen Platz. Er betrachtet die Schwarzen im Bus mit den gleichen verstohlenen, neugierigen Blicken wie sie ihn. Die paar in Schottland aufgewachsenen Schwarzen, die er kennengelernt hatte, waren ihm bislang exotisch vorgekommen, doch jetzt begreift er, wie urschottisch sie im Grunde waren. Die Schwarzen hier faszinieren ihn, der völlig andere Rhythmus, nach dem sichihre Körper bewegen. Ihre Stimmen sind so anders als die der Weißen oder Latinos, es ist, als kämen sie vom Mars. Irgendetwas weckt seinen Instinkt, und er hofft, dass es Neugier ist und kein Rassismus.
    Gespür. Bauchgefühl. Instinkt.
    Verfahrensvorschriften. Dazu gedacht, jede Voreingenommenheit wissenschaftlich zu eliminieren. Nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit handeln. Siebzig Prozent der Mörder kennen ihr Opfer. Dreiunddreißig Prozent stammen aus der eigenen Familie.
    Der Bus rumpelt durch ein Schlagloch. Lennox zuckt zusammen. Er muss auf der Hut sein. Er muss sprungbereit sein. Sie sind überall, die bösen Onkels. Auch in diesem Bus muss einer sitzen. Er mustert die verdächtigen Augen. Er kann sie riechen, ihren ekelhaften Gestank.
    Der Bus fährt nach nirgendwo; nach einer Weile dreht er um und fährt wieder in die Richtung, aus der er gekommen ist. Lennox hält weiterhin mit Adleraugen Ausschau. Schmerz will bekämpft werden. Dagegen gilt es anzutrinken. Dann sieht er sie, auf der 14 th zwischen Collins und Washington. Er weiß, hier will er sein, genau hier. Es ist eine Bar. Der Club Deuce.
    Er geht nach vorne, und Panik steigt in ihm auf, als der Bus für ein paar Meter beschleunigt und weit über die Bar hinaus zu fahren droht, doch dann bremst er ab und fährt eine Haltestelle an. Lennox steigt aus und geht das Stück zu dem cremefarbenen Bunker namens Club Deuce zurück. Davor steht ein Einkaufswagen, der die Habseligkeiten eines Obdachlosen enthält. Die Bar ist mit Rollläden verdunkelt, von denen er vermutet, dass sie permanent geschlossen sind. Er betritt die Bar durch eine Holztür mit Fenster. Es ist so dunkel, dass seine Augen einen Moment brauchen, ehe sie Gegenstände unterscheiden können.
    Club Deuce wird von einer langen Theke beherrscht,

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