Crime
diesich wie ein Resopal-Fluss mit zwei Halbinseln in Form eines doppelten Hufeisens durch die ganze Tiefe des Raums schlängelt. In der Ecke hängt ein großer Plasmafernseher. In der Nähe des Billardtischs sitzt eine Obdachlose, die gelegentlich durch die Rollläden nach ihrem Einkaufswagen schielt. Es ist eine echte Trinkerbar der kommunikativen Sorte: durch die Kurven muss sie praktisch leer sein, ehe Stammgäste Gefahr laufen, zu weit auseinanderzusitzen. Über eine Seite der Bar erstreckt sich ein Spiegel, der es doppelt schwierig macht, Blickkontakten auszuweichen. Er schaut auf der grün beleuchteten Uhr über der Jukebox nach der Zeit.
Zwei weibliche Neon-Silhouetten, beide auf dem Rücken liegend, Titten und Ärsche in leuchtendem Rot ausgemalt, machen Eindruck auf Lennox. Sie könnten Seejungfrauen sein, doch je ein verführerisch in die Höhe gerecktes Bein weist sie als Landsäugetiere aus.
Das Ganze wirkt wie ein etwas halbseidener, aber stilechter Schuppen, mit einer schön altmodischen Atmosphäre von verbotenem Speakeasy-Sex, der auch seine gegenwärtige Inkarnation als Schluckbude nichts anhaben kann. Lennox setzt sich ans vordere U des Hufeisens bei der Tür, hinter zwei Porträts von Humphrey Bogart und Clark Gable. Er blickt auf zwei alte Spiegel mit wunderschön geschnitzten Rahmen. Da wird ihm klar, dass der Club Deuce wohl die großartigste und schönste Bar ihrer Art, ja überhaupt jeder Art, auf der Welt ist.
Der Barkeeper ist ein großer, tätowierter Langhaariger mit Vollbart. Ein Ex-Biker, der sich schon lange ins Privatleben zurückgezogen hat, schätzt Lennox. Er hat ein breites, aber etwas misstrauisches Lächeln.
– Was darf’s sein?, fragt er, die Brauen hochziehend.
– Einen Wodka-Soda, Stoli. Lennox reibt sich über die Oberlippe, wo einst sein Schnurrbart war. Er hat ihn jahrelang getragen, und jetzt spürt er manchmal ein Phantomjucken, wie es Amputierte in einem fehlenden Arm oder Bein erleben.
Der Barmann mustert wohlwollend Lennox’ T-Shirt, während er die Getränke einschenkt.– Engländer?, fragt er.
– Schotte.
Der Wodka ist großzügig bemessen; das mag Lennox an den Staaten, Einschenken aus dem Handgelenk. Die machen sich keinen Kopf um den ganzen kleinlichen Eichstrichscheiß. Allein dafür hat sich die amerikanische Revolution schon gelohnt. Er vervollständigt sein Gedeck mit einer Flasche trinkbarem europäischen Importbier.
Er dreht sich auf seinem Hocker um und schaut zum Fernseher hoch: American Football. Bears gegen Packers. Lennox kann nicht erkennen, ob live oder Aufzeichnung. Erst will er fragen, doch dann denkt er, wenn’s eine Zeitlupe gibt, erfährt er es früh genug. Er legt die Perfect Bride auf die Theke und steckt sich das Notizbuch und den Stift in die Gesäßtasche seiner Hose. Der erste Drink vermag die diffusen Ängste, die ihm Schauer durch Seele und Körper jagen, nicht zu bannen; er lässt sie nur zu einem festen Tumor kristallisieren, der auf irgendeinem Psycho-Highway in etwa parallel zu seinem Magen-Darm-Trakt runterrutscht, bis er irgendwo unten in den Eingeweiden bleiern seinen Bestimmungsort findet.
Die Bar ist so gut wie leer. Zwei magere weiße Jungs, die bestimmt mit gefälschtem Ausweis trinken, so nervös, wie sie sich jedes Mal umdrehen, wenn die Tür aufgeht, spielen in der Ecke Eightball. Etwas weiter die Theke hoch sitzen zwei Frauen; wahrscheinlich erst Ende zwanzig, aber schon deutlich sichtbar vom Leben gebeutelt. In der Ecke die Obdachlose, die durchs Fenster ein Argusauge auf ihre Besitztümer draußen hat. Zur anderen Seite von Lennox kaut ein Fettsack dem Barmann mit empörter Quiekstimme einOhr ab, irgendwas über Steuern, die er verfassungswidrig findet.
Lennox bestellt sich noch einen Wodka. Dann noch einen. Sein ordentliches Trinkgeld sorgt dafür, dass der Barkeeper ihm regelmäßig nachschenkt. Der Mann begreift offenbar, dass man, nur weil man in eine Bar kommt und es mit dem Trinken ernst meint, noch lange keine Gesellschaft sucht. Man will nur testen, ob der Scheiß, über den man sich nüchtern klar zu werden versucht, betrunken mehr hergibt.
Er überlegt, dass es wahrscheinlich falsch war, die Psychotherapie abzubrechen. Aber er hatte dichtgemacht. Er hat den raffinierten, aufdringlichen Mistkerlen nichts über sich erzählt, nichts, das Eingang in seine Dienstakte finden würde, trotz ihrer Beteuerungen, dass alles streng vertraulich sei. Lennox war zweimal hingegangen, nachdem sie ihn in
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