Crime
dass es glatt ein Grund wäre, ihn zu kaufen. Dann spricht er sie an.
Es ist laut in seinem Kopf, und mit einem Auge beginnt er vage, eine weiße Zimmerdecke zu erkennen. Das andere ist durch zähe Absonderungen verklebt. Er reibt daran, fühlt die Federn eines alten Sofas sich in seinen Rücken bohren. Über ihn ist ein Plaid gebreitet. Er hatte sich in der Nacht entwirrt und vor lauter Erschöpfung tatsächlich ein bisschen Schlaf gefunden. Dann stürmen die Ereignisse des gestrigen Abends urplötzlich seinen Kopf. Schon wieder Scheiße gebaut , jault sein Selbstkasteiungsmantra auf. Das Sonnenlicht knallt durch die vergilbten Spitzen der Gardinen, während neuralgischer Schmerz von innen auf seine Schädeldecke einsticht.
Trudi .
Die Geräusche. Der Fernseher. Er quält sich hoch in eine sitzende Haltung. Sieht das Kind, Tianna, auf dem Fußboden liegen, in die Kiste gucken und eine Dose Pepsi trinken. Versucht es mit Stehen. Kriegt er hin. Reckt sich und gähnt. Schaut auf das Mädchen herunter.
Sie klebt am Bildschirm, doch sie hat ihn im Schlaf beobachtet. Sein Gesicht verzerrt, als würde er immer nochkämpfen, aber jetzt im Traum. Um sein Geschnarche zu übertönen, musste sie den Fernseher lauter machen. Aber sie hatte ihn damit auch wecken wollen. Um herauszufinden, was für einer er ist.
– Wo sind denn alle?, fragt Lennox, während ihm Glassplitter von dem zerbrochenen Couchtisch auffallen. Er erinnert sich, dass er versucht hat, aufzuräumen, doch es liegen noch genug Scherben herum.
Fuck, und das Kind ist barfuß.
Das Mädchen, bäuchlings vor dem Fernseher auf dem Teppich liegend, trägt blaue Shorts und ein gelbes Tanktop. Irgendein Ausschlag: rote, entzündete Stellen auf dem Schienbein. Sie dreht sich nicht mal um; ihr rechtes Bein schlägt rhythmisch gegen das linke. Es ist, als sei er nicht da. Nicht da– oder nichts Neues für sie, überlegt Lennox.– Wo ist Robyn?
– Weißnich. Tianna setzt sich auf. Dreht sich um. Auf ihrem Top steht BITCH in goldener Glitzerschrift. Sie guckt ihn kurz an, bevor sie sich wieder in liegende Position vor der Glotze zurückdreht.
Kein Kind, das man schnell lieb gewinnt, denkt Lennox. Er wandert durch die Wohnung. Sie ist leer. Er zuckt vor einem unsichtbaren Publikum die Schultern und will zur Wohnungstür gehen. Bleibt stehen. Er kann sie nicht einfach so alleinlassen, nicht, ehe er weiß, wann Robyn zurückkommt. Dieser unheimliche Scheißkerl könnte wieder auftauchen.
Er denkt an Trudi. Ob sie sich Sorgen um ihn macht? Vielleicht. Wahrscheinlich sogar. Wenn sie sich erst mal beruhigt hatte, würde sie dann nicht denken: ›Wo steckt Ray bloß?‹ Lennox findet es nahezu ausgeschlossen, dass ihn jemand vermissen könnte.
Aber das würde sie natürlich. Sie ist seine Verlobte. Er war krank. Ist krank.
Ich war die ganze Nacht unterwegs. Was zum Teufel hab ich angestellt?
Meine Muschi, meine Regeln. Ach du Scheiße nee.
Nein. Trudi war bestimmt sehr gekränkt. Womöglich sogar schon auf dem Heimweg, hat einen Flug nach Edinburgh bekommen, vielleicht berichtet sie seiner Familie– oder dem, was davon übrig ist–, dass er einen weiteren Zusammenbruch hatte. Vielleicht sucht die Polizei schon nach ihm! Sie könnte natürlich auch bei Ginger und Dolores sein.
Aber er kann das Mädchen hier nicht alleinlassen.
Das geht nicht. Ihre Mutter ist …
– Bist du oft ganz allein hier?, fragt Lennox die gleichgültige kleine Gestalt, während er die Glasreste aufzulesen beginnt. Er sieht das Bild des zertrümmerten Tischs vom Vorabend vor sich. In seinem Kopf geht es zu wie in einem Wespennest. Nebenhöhlen und Kehle brennen wie wund gescheuert.
– Weißnich, sagt sie achselzuckend.
– Wann kommt deine Mum zurück?
– Als ob Sie das interessiert, sagt sie, und er will schon reagieren, doch unter dem wegwerfenden Tonfall schwingt auch eine winzige Spur Nachfrage mit.
Er lässt das Glas liegen und setzt sich wieder aufs Sofa. Er würde am liebsten gehen. Aber was, wenn sie noch zu einer anderen Party sind und die Kleine komplett vergessen haben? Mit genug Koks kannst du alles und jeden vergessen. Und Robyn sah aus, als hätte sie genug Koks abbekommen. Eine leere Zigarettenschachtel auf dem Fußboden: das zieht ihn total runter.
Er steht auf und geht in die Küche. Im Kühlschrank sind noch ein paar Dosen Bier, Miller’s. Wie gern er eine trinken würde. Bloß eine. Aber vor dem Kind zu trinken geht nicht. Es geht deshalb nicht, weil es alle
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