Crime
nötigt ihn, fordert ihn heraus, ihm entgegenzutreten. Tianna starrt das Motel mit leerem Blick an und verrät keinerlei Regung, als er mitgezwungener Unbeschwertheit sagt:– Na, warum nicht, sieht doch ganz gut aus.
Sie halten bei einem Walgreens, um sich Seife, Zahnpasta und Zahnbürsten zu kaufen. In seiner Übermüdung lässt sich Lennox durch den Unterschied zwischen dem ausgezeichneten und dem tatsächlichen Preis irritieren– das mit der Umsatzsteuer hat er immer noch nicht richtig kapiert–, dann stehen sie wieder vor dem Motel und wollen einchecken.
Der Mann am Empfang ist ein leichenblasser, alter Weißer. Seine Haut ist durchscheinend und sein Gesicht so müde und schmerzzerfurcht, dass er den Eindruck macht, wenn er das Hemd auszöge, könnte man die Tumore in ihm sehen. Er bittet Lennox, sich auszuweisen. Diesmal legt Lennox seinen Pass vor. Der Körper des Empfangschefs strafft sich wie ein Henkersseil unter dem ihm anvertrauten Gut, als er sich zur Seite dreht und ein altmodisches Meldebuch hervorholt. Während Lennox sich darin einträgt, mustert der Mann Tianna, die sich die knallbunten Broschüren ansieht, die in einem uralten Plastikgestell an der Wand stecken, unter einer Karte, die aussieht, als stamme sie aus der Zeit der ersten weißen Pioniere. Anzüglich fragt er Lennox:– Tochter?
Lennox hält seinem Blick stand.– Nein, ich bin ein Freund der Familie, erklärt er und ergänzt:– Wir brauchen zwei Zimmer.
Der Mann zieht kurz die Brauen hoch, mustert Lennox eine Sekunde prüfend und senkt dann übellaunig den Kopf, um sie einzuchecken. Lennox schaudert und findet die Idee auf einmal nicht mehr so gut. Aber er ist hinüber und muss unbedingt schlafen. Er sieht, dass auch Tianna ausgiebig gähnt, und fragt sich, wie viel Schlaf sie wohl in den letzten Tagen, Wochen oder Monaten abbekommen hat.
Als sie wieder nach draußen kommen, um ihre Zimmer aufzusuchen, geht die ockergelbe Sonne wie eine Messingplakette, wie ein Logo für verlorene Lebenszeit vor Lennox’ brennenden Augen unter. Etwas tiefer registriert er im verblassenden Tageslicht bei der Einkaufszeile auf der anderen Seite des Highways das einladende Glimmen der Leuchtreklame einer Raststätte. Es war noch nicht allzu spät. Zwei Bier– nicht mehr– wären herrlich und würden gewährleisten, dass er auch gut schlief. Aber er konnte sie nicht alleine lassen, selbst wenn sie schnell einschlafen sollte. Stattdessen gehen sie zu einem Getränkeautomaten in der Rezeption und ziehen eine Pepsi für sie und ein Mineralwasser für ihn.
Mit Hinweis auf seine Erschöpfung sagt Lennox zu Tianna, dass er ins Bett geht, und rät ihr, dasselbe zu tun. Sie zögert sekundenlang, ehe sie sich zu ihrem Quartier zwei Türen weiter aufmacht.
Lennox’ Zimmer ist heruntergekommen und zweckbetont: Bett, Nachttisch mit Lampe, Tisch und Stuhl, Badezimmer mit Toilette, Waschbecken und Dusche. Zwei mitgenommene grüne Sessel mit gelben Kissen, die mehr seltsame Geschichten bergen, als irgendwer hören möchte, stehen bei einem großen, aber antiken Fernseher. Er geht über den abgetretenen, mit Brandlöchern übersäten Teppich und zieht den Vorhang am hinteren Fenster auf, durch das man auf eine ähnlich triste Szenerie blickt wie den Highway vorne. Reihen von hohen Zäunen umgeben die Fertigbauten einer Lager- und Vertriebsfirma. Sie glitzern trotzig im Licht der sinkenden Sonne, wie rampenlichtsüchtige Starlets, die sich an ihren Nebenrollen erfreuen.
Er findet die unfassbar schmuddelige Fernbedienung und stellt den Fernseher an. Er macht ihn lauter, um das Maschinenrattern der antiquierten Klimaanlage– einer großen Metallkiste in der Wand– zu übertönen, nimmt ein Glas vom Tisch und hält es gegen das Licht. Es sieht sauber aus,also gießt er sich etwas Mineralwasser aus seiner Flasche ein und stellt es auf den Nachttisch. Er nippt an dem Rest in der Plastikflasche, lässt sich in einen der Sessel fallen, die Beine über die Armlehne drapiert, und starrt in den Fernseher. Beim Zappen spürt er, wie sich sein Geist abschaltet, wie die Gedanken ins Leere zu laufen beginnen. Trudi war okay, mehr als okay. Sie ist loyal, eine unter einer Million.
Ein Klopfen an der Tür holt ihn unsanft in das schäbige Zimmer zurück. Er macht auf, und Tianna steht vor ihm. Ihre Augen sind groß und rund und hoffungsvoll.– Ich bin noch nicht müde. Kann ich hier ein bisschen bei dir sitzen und fernsehen?
– Klar, sagt Lennox,– aber nur eine halbe
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