Crime
sechzig in Jeans, Boots und einem grünen, bestickten Leinenhemd, der sich als Donald Wynter vorstellt. Mit seinem ungezügelten Enthusiasmus und den gescheitelten weißen Haaren ähnelt er verblüffend dem Filmkomiker Steve Martin. Die Ähnlichkeit ist so ausgeprägt, dass Lennox den Wunsch verspürt, Witze zu reißen. Stattdessen sagt er:– Kennen Sie Chet Lewis?
– Jeder kennt den alten Chet, erklärt Wynter, führt sie nach draußen und zeigt ihnen den Platz, an dem die Ocean Dawn normalerweise liegt.
Nur ist sie nicht da.
Don Wynter sieht Ray Lennox’ frustrierte Miene.– Chet ist die Küste runter, hat ein paar Fischkörbe ausgesetzt, um an was Frisches zu kommen. Die besten Exemplare sind überfischt, heute muss man seine Netze schon etwas weiter auswerfen. Ich würd sagen, er ist morgen in aller Herrgottsfrühe wieder hier. Ach ja, ich bin sogar sicher, denn er muss im Büro ein paar Sachen abholen, die er bestellt hat. Normalerweise besucht er noch den alten Mo auf einem der Inselchen. Zum Kartenspielen und Biertrinken. Wynter redet wie ein Mann, der Angst hat, den Löffel abzugeben, ehe er die ihm zustehende Menge an Wörtern losgeworden ist.
– Wie kommt man dorthin?
– Gar nicht, es sei denn, man hat ein Boot und kennt die Gewässer. Wynter schüttelt den Kopf.– Ja, hat wahrscheinlich gerade irgendwo die Küste runter festgemacht.
So viel Hilfsbereitschaft weiß Lennox durchaus zu schätzen, aber er ist müde, und die Redseligkeit des Mannes nervt ihn, als er auch noch wortreich über die Gezeiten und das Wetter zu schwafeln beginnt. Ein Seitenblick auf Tiannas gequälte Miene verrät ihm, dass deren Toleranzschwelle für Langweiliges erreicht ist. Während Wynter weiterschwadroniert, muss Lennox an die älteren Zeugen denken, die er in Zusammenhang mit dem Britney-Fall befragt hat. Die quasselten und quasselten und redeten sich ihre eigene Rolle in Britneys kurzem Leben wichtig. Natürlich waren sie einfach einsam, und zunächst hatte er auch Mitgefühl für sie, doch schon bald war sein guter Wille aufgebraucht. Schließlich war er so weit, dass er am liebsten ein paar mürbe alte Schädel eingeschlagen hätte und gebrüllt: Um dichgeht’s hier nicht, du egoistische Fotze. Das ist ne Morduntersuchung.
Ronnie Hamil, Britneys Schlotbaron von Großvater, das war der Schlimmste von allen.
Dann Angela und nun Robyn. Man konnte nicht mal der eigenen gottverdammten Mutter trauen.
Hör auf damit.
Die Ankunft einer gut gekleideten Frau mittleren Alters gibt Lennox und Tianna die Entschuldigung, sich dem abgelenkten Hafenmeister zu entziehen. Sie verlassen die Marina und fahren in die Stadt, dann raus auf den Highway. Lennox weiß nicht, was er jetzt anfangen soll. Er verflucht sich selbst. Hätt ich doch bloß keine Zeit mit Alligatorbesuchen und Milchshakes vertrödelt!
– Ich will nicht wieder zurück, Tiannas leise Stimme, ihre Augen weit vor Angst,– ich will bei Chet bleiben.
Bald würde es dunkel werden, und Chet bekamen sie vor morgen nicht zu Gesicht. Lennox erwägt ihre Möglichkeiten. Ihre Wohnung in Miami kam nicht infrage. Vor der und den Leuten darin waren sie ja hierhin abgehauen. Er könnte sie für die Nacht mit ins Hotel in Miami Beach nehmen oder sie erst zu Ginger in Fort Lauderdale bringen und danach dann zu Chet fahren. Als plötzlich die Hupe eines LKW dröhnt und Lennox den Fuß auf die Bremse rammt, kostet es ihn fünf Jahre seines Lebens, und er dankt einer höheren Macht, dass niemand hinter ihm fährt. Er wäre beinahe auf den LKW aufgefahren. Das und Tiannas erschrecktes Gesicht nehmen ihm die Entscheidung ab. Er ist übermüdet und braucht Schlaf. In seiner derzeitigen Verfassung stellt er für sie eine größere Gefahr dar als sonst jemand. Er hält an der nächsten Tankstelle und ruft Trudi an.
– Ray, wo zum Teufel steckst du? Du hast gesagt, du wärst …
– Ich bin immer noch mit dem kleinen Mädchen unterwegs, von dem ich dir erzählt hab. Sie ist zehn. Ihre Mutter und sie stecken in ziemlichen Schwierigkeiten. Ich kann sie nicht im Stich lassen, Trudi, nicht so wie Angela und Britney. Ich kann’s einfach nicht.
– Haben die denn da keine eigene Polizei?
– Aye. Ich hab einen von denen kennengelernt. Das ist ja gerade der, der sie schikaniert. Deshalb kann ich im Moment nicht zur Polizei, ich weiß nicht, was mit diesem Cop läuft. Ich muss jemanden finden, der hundert Prozent vertrauenswürdig ist. Ich muss über Nacht hierbleiben. Morgen
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