Crisis
Größenunterschieds zwischen ihnen würde das bestimmt kein sonderlich fairer Kampf werden.
Jack ließ seinen Blick weiter über die Zuschauer wandern. Erneut war er fasziniert von ihrem zahlreichen Erscheinen. Er fragte sich, wie viele von ihnen wohl zu den sprichwörtlichen Gerichtsjunkies gehörten, denen es einen Kick verschaffte, wenn andere, vor allem die Reichen und Mächtigen, ihre gerechte Strafe bekamen. Als erfolgreicher Arzt war Craig für sie eine lohnende Beute.
Schließlich entdeckte er Alexis. Sie saß in der ersten Reihe hinten an der Wand, dicht bei den Geschworenen. Neben ihr schien einer der wenigen freien Plätze zu sein. Jack ging nach vorne an die Absperrung und zwängte sich, Entschuldigungen flüsternd, in die Sitzreihe. Alexis sah ihn näher kommen und rückte ihre Sachen zur Seite, um ihm Platz zu machen. Jack drückte kurz ihre Schulter, ehe er sich hinsetzte.
»Glück gehabt?«, flüsterte Alexis.
»Zumindest mal Fortschritte, hoffe ich. Aber jetzt liegt es nicht mehr in meiner Hand. Und wie ist es hier gelaufen?«
»Ähnlich wie die letzten Tage, fürchte ich. Die Verhandlung ist nur langsam in Gang gekommen, weil der Richter erst noch irgendwelche unverständlichen Rechtsangelegenheiten klären musste. Die erste Zeugin war dann Dr. Noelle Everette.«
»Das kann nicht gut gegangen sein.«
»Ist es auch nicht. Sie kam als eine fantastisch ausgebildete, aufmerksame und verständnisvolle Ärztin rüber, die darüber hinaus noch den Vorteil hatte, dass sie aus der gleichen Gemeinde stammt und an dem Wiederbelebungsversuch beteiligt war. Ich muss leider zugeben, dass Tony seine Sache gut gemacht hat. Seine Fragen und ihre Antworten hatten die volle Aufmerksamkeit der Geschworenen. Ich habe die drei Hausfrauen sogar zwischendurch nicken sehen – kein gutes Zeichen. Ihre Aussage war im Wesentlichen gleichlautend mit der von Dr. William Tardoff, aber meiner Ansicht nach wirkungsvoller. Sie war genau die Ärztin, die sich jeder wünscht.«
»Und wie war Randolph beim Kreuzverhör?«
»Nicht so erfolgreich wie bei Dr. Tardoff, aber ich wüsste auch nicht, wie er das hätte schaffen sollen, wenn man bedenkt, wie gut Dr. Everette rübergekommen ist. Ich hatte das Gefühl, er wollte sie einfach nur so schnell wie möglich aus dem Zeugenstand schaffen.«
»Das war vermutlich die beste Taktik«, entgegnete Jack. »Kam das Thema Concierge-Medizin zur Sprache?«
»Oh ja. Randolph hat versucht, Einspruch zu erheben, aber Richter Davidson lässt alles zu.«
»Und wurde die Zyanose erwähnt?«
»Nein. Warum fragst du?«
»Es lässt mir immer noch keine Ruhe. Das wird einer der entscheidenden Punkte sein, die ich im Hinterkopf behalte, wenn ich die Autopsie durchführe – falls ich sie durchführe.«
Sein sechster Sinn brachte Jack dazu, sich umzudrehen und quer durch den Saal zu Franco hinüberzusehen. Der starrte ihn erneut wütend an, und sein Gesichtsausdruck schwankte irgendwo zwischen einer Grimasse und einem grausamen Lächeln. Das Gute war, dass Jack aus diesem Winkel sehen konnte, dass Francos linke Gesichtshälfte genauso rot war wie seine eigene. Soweit schienen sie also quitt zu sein.
Jack lehnte sich auf der harten Eichenbank zurück und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Prozess. Tony stand am Pult, und Dr. Herman Brown saß im Zeugenstand. Vor dem Richtertisch huschten die Finger der Protokollführerin unablässig über ihre kleine Stenographiemaschine, um ein wörtliches Protokoll anzufertigen. Eine geschlagene Viertelstunde lang befragte Tony den Zeugen zu seinen beeindruckenden akademischen und klinischen Referenzen. Als Leiter der kardiologischen Abteilung am Boston Memorial Hospital hatte er gleichzeitig den Lehrstuhl für Kardiologie an der medizinischen Fakultät von Harvard inne.
Randolph war mehrmals aufgestanden und hatte angeboten, die Qualifikation des Zeugen als unstreitig anzuerkennen, um dem Gericht Zeit zu sparen, aber Tony hatte sich nicht beirren lassen. Er versuchte, die Geschworenen zu beeindrucken, und seine Taktik ging auf. Für alle wurde zunehmend ersichtlich, dass man kaum einen qualifizierteren oder auch nur gleichermaßen qualifizierten Sachverständigen auf dem Gebiet der Kardiologie finden würde. Auch die Erscheinung und das Auftreten von Dr. Brown trugen zu diesem Bild bei. Ihn umgab die gleiche Aura eines Angehörigen der Bostoner Upperclass wie Randolph, jedoch ohne den leisesten Anflug von Geringschätzung oder Herablassung. Statt kühl
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