Crisis
Terminplan zuliebe will ich den Prozess am Freitag abschließen, falls nicht noch etwas Außergewöhnliches dazwischenkommt.«
Beide Anwälte nickten. Randolph kehrte zu seinem Stuhl am Tisch der Verteidigung zurück, während Tony wieder ans Rednerpult trat.
»Einspruch abgelehnt«, rief Richter Davidson. »Fahren Sie fort.«
»Dr. Brown«, sagte Tony, nachdem er sich geräuspert hatte. »Würden Sie den Geschworenen erklären, in welcher Eigenschaft Sie bereits mit Dr. Craig Bowman in Kontakt gekommen sind?«
»Zum ersten Mal bin ich ihm als sein Betreuer bei seinem Praktikum in der Inneren Medizin am Boston Memorial Hospital während seines dritten Jahrs an der medizinischen Fakultät begegnet.«
»Könnten Sie uns erklären, was das bedeutet, da aus dieser wunderbaren Jury niemand Medizin studiert hat?« Mit einer weit ausholenden Geste deutete Tony auf die Reihe der Geschworenen, von denen einige zustimmend nickten. Alle lauschten mit ungeteilter Aufmerksamkeit, bis auf den Klempnergehilfen, der sich auf seine Fingernägel konzentrierte.
»Die Innere Medizin ist das wichtigste und anspruchsvollste Praktikum während des dritten Studienjahrs, vielleicht sogar während der ganzen vier Jahre. Zum ersten Mal haben die Studenten von der Aufnahme bis zur Entlassung ausgiebigen Kontakt mit den Patienten und sind unter strenger Aufsicht durch die Assistenzärzte und den Betreuer an der Diagnose und der Behandlung beteiligt.«
»War die von Ihnen betreute Gruppe, in der sich auch Dr. Bowman befand, groß oder eher klein?«
»Klein – sechs Studenten, um genau zu sein. Es ist eine sehr intensive Form der Ausbildung.«
»Als Betreuer sehen Sie die Studenten sicher regelmäßig?«
»Täglich.«
»Dann können Sie also auch die Gesamtleistung aller Studenten überblicken?«
»In hohem Maße. Es ist eine entscheidende Phase im Leben eines Studenten, sie markiert den Beginn seiner Verwandlung vom Studenten in einen Arzt.«
»Also ist die Einstellung, die man in dieser Zeit bei den Studenten beobachtet oder die sie in dieser Phase entwickeln, von großer Bedeutung.«
»Von sehr großer Bedeutung.«
»Und wie schätzen Sie Ihre Verantwortung als Betreuer im Hinblick auf diese Einstellung gegenüber den Patienten ein?«
»Auch diese ist von größter Bedeutung. Als Betreuer müssen wir einen Ausgleich schaffen zwischen der expliziten Haltung gegenüber den Patienten, wie sie an der Universität gelehrt wird, und der impliziten Haltung, die das überarbeitete und gestresste Krankenhauspersonal häufig an den Tag legt.«
»Da gibt es einen Unterschied?«, fragte Tony übertrieben erstaunt. »Könnten Sie uns den bitte erläutern?«
»Die Menge an Wissen, die diese angehenden Mediziner aufnehmen und sich merken müssen, ist atemberaubend und wird mit jedem Jahr größer. Und die Assistenzärzte stehen unter so großem Druck, dass sie manchmal den entscheidenden humanistischen Aspekt ihres Tuns, die eigentliche Grundlage unserer Berufsethik, aus den Augen verlieren. Außerdem entwickeln sich im Angesicht von Leid, Sterben und Tod ungesunde Abwehr-und Bewältigungsmechanismen.«
Tony schüttelte verwirrt den Kopf. »Lassen Sie mich noch einmal nachfragen, ob ich Sie auch richtig verstanden habe. Vereinfacht gesagt kann es also auf Seiten der Praktikanten zu einer Tendenz kommen, den einzelnen Menschen zu entwerten, so als sähen sie vor lauter Wald die Bäume nicht mehr.«
»Vermutlich«, sagte Dr. Brown. »Aber man darf dieses Thema nicht bagatellisieren.«
»Wir werden uns bemühen«, entgegnete Tony mit einem kurzen Lachen, das einigen der Geschworenen ein vorsichtiges Lächeln entlockte. »Nun lassen Sie uns wieder auf den Beklagten, Dr. Craig Bowman, zurückkommen. Wie waren seine Leistungen während seines Praktikums in der Inneren Medizin?«
»Im Allgemeinen hervorragend. Von den sechs Studenten in seiner Gruppe verfügte er bei weitem über die größte Sachkenntnis und war immer am besten vorbereitet. Ich war oft überrascht von seinem guten Gedächtnis. Ich erinnere mich an einen Vorfall, als ich ihn nach dem BUN eines Patienten fragte.«
»Der BUN ist ein Laborwert?«, fragte Tony.
»Ja. Die Frage war eher rhetorischer Natur, weil ich hervorheben wollte, dass die Kenntnis der Nierenfunktion bei der Behandlung dieses Patienten von entscheidender Bedeutung war. Aber Dr. Bowman ratterte die Werte ohne zu zögern herunter, so dass ich mich fragte, ob er sie vielleicht einfach erfunden hatte, ein unter
Weitere Kostenlose Bücher