Crisis
depressiv, fordernd, frustrierend und zeitraubend, und jetzt, in Zeiten des Internets, entwickelten sie eine beachtliche Kreativität im Hinblick auf die geschilderten Symptome und ihren Wunsch nach ausgiebigen Gesprächen und tröstendem Händchenhalten. In seiner früheren Praxis hatte Craig, nachdem ihre Hypochondrie über jeden berechtigten Zweifel hinaus feststand, sie so selten wie möglich selbst empfangen, meist schob er sie in die Praxis einer niedergelassenen Krankenschwester oder zu seiner Arzthelferin ab oder, das kam jedoch nur selten vor, er verwies sie an einen Spezialisten, insbesondere an einen Psychiater, wenn er sie dazu bringen konnte, diesen aufzusuchen. Doch bei Craigs gegenwärtigem Praxismodell war er in seinen Möglichkeiten, auf solche Tricks zurückzugreifen, eingeschränkt, was bedeutete, dass die »Problempatienten« die einzigen Wermutstropfen in seiner neuen Praxis darstellten. Obwohl sie nur drei Prozent seiner Patienten ausmachten, wie sein Steuerberater ausgerechnet hatte, beanspruchten sie über fünfzehn Prozent seiner Zeit. Patience war dafür das beste Beispiel. Während der vergangenen acht Monate hatte er sie mindestens einmal in der Woche behandelt, und das meistens abends oder nachts.
»Diese Patience ist das reinste Geduldsspiel«, witzelte Craig häufig in Gegenwart seiner Angestellten, und diese Bemerkung sorgte immer wieder für Gelächter.
»Diesmal ist es ganz anders«, antwortete Jordan. »Es hat überhaupt nichts mehr mit ihren Beschwerden von gestern Abend und heute Morgen zu tun.«
»Wie äußert sich das?«, fragte Craig. »Können Sie mir ihren Zustand näher beschreiben?« Er wollte so genau wie möglich wissen, was mit Patience los war, und zwang sich, nicht zu vergessen, dass auch Hypochonder gelegentlich tatsächlich krank wurden. Das Problem im Umgang mit solchen Patienten war, dass die Wachsamkeit mit der Zeit nachließ. Es war wie in der Fabel von dem Hirtenjungen, der zu oft falschen Alarm schlug.
»Der Schmerz sitzt an einer anderen Stelle.«
»Okay, das ist schon mal ein Anfang«, sagte Craig. Er sah zu Leona hinüber, zuckte die Achseln und bedeutete ihr, sich zu beeilen. Wenn das aktuelle Problem das war, wofür er es hielt, wollte er sie zu dem Hausbesuch mitnehmen. »Inwiefern ist der Schmerz anders?«
»Heute Morgen saß er im Rektum und im unteren Bauchbereich.«
»Ich erinnere mich!«, entgegnete Craig. Wie hätte er das vergessen können? Völlegefühl, Blähungen und Probleme mit ihrem Stuhlgang, die sie mit widerlicher Detailfreude beschrieb, waren ihre üblichen Beschwerden. »Wo schmerzt es denn jetzt?«
»In ihrer Brust, sagt sie. Und sie hat vorher noch nie über Brustschmerzen geklagt.«
»Das ist nicht ganz richtig, Jordan. Letzten Monat gab es mehrere Anfälle von Brustschmerzen. Deshalb habe ich sie auch einem Belastungs-EKG unterzogen.«
»Stimmt! Das hatte ich vergessen. Ich kann mir ihre ganzen Symptome gar nicht alle merken.«
Da geht es Ihnen wie mir, hätte Craig am liebsten geantwortet, doch er verkniff sich die Bemerkung.
»Ich finde, sie sollte ins Krankenhaus«, wiederholte Jordan. »Ich glaube, sie hat Probleme beim Atmen und sogar beim Sprechen. Eben hat sie mir noch sagen können, dass sie Kopfschmerzen habe und ihr übel sei.«
»Übelkeit ist eine ihrer üblichen Beschwerden«, warf Craig ein. »Genau wie die Kopfschmerzen.«
»Aber diesmal hat sie sich ein wenig übergeben. Sie sagte auch, sie habe das Gefühl, in der Luft zu treiben, und außerdem sei ihr Körper taub.«
»Das ist neu!«
»Ich sage Ihnen doch, diesmal ist es ganz anders als sonst.«
»Ist es denn ein anhaltender, dumpfer Schmerz oder eher stechend und krampfartig?«
»Das weiß ich nicht.«
»Würden Sie sie bitte fragen? Es könnte wichtig sein.«
»Okay, bleiben Sie dran!«
Craig hörte, wie Jordan den Hörer hinlegte. Leona kam aus dem Bad. Sie war fertig. Craig fand, sie sah aus wie das Titelmodel einer Zeitschrift. Er signalisierte seine Zustimmung, indem er den Daumen in die Höhe reckte. Sie lächelte und formte lautlos die Frage: »Was ist los?«
Craig zuckte die Achseln. Er hielt das Handy immer noch ans Ohr, drehte es jedoch von seinem Mund weg. »Sieht so aus, als müsste ich noch einen Hausbesuch machen.«
Leona nickte, dann fragte sie: »Hast du Probleme mit deiner Fliege?«
Craig nickte widerstrebend.
»Lass mich mal versuchen«, bot sie an.
Craig hob das Kinn, damit sie besser rankam, als Jordan wieder ans
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