Crisis
also wahrscheinlich heute Abend.«
»Danke, Jack. Jetzt wo ich weiß, dass du kommst, fühlt es sich fast schon wieder an wie in alten Zeiten.«
Alexis beendete das Gespräch und ließ das Handy zurück in ihre Handtasche gleiten. Selbst wenn Jack ihnen tatsächlich nicht helfen konnte, war sie doch froh darüber, dass er kam. Er würde ihr den emotionalen Halt bieten, den nur ein Familienmitglied schenken konnte. Sie ging zurück durch die Sicherheitskontrollen und fuhr mit dem Aufzug hinauf in den zweiten Stock. Als sie den Gerichtssaal betrat und die schwere Tür so leise wie möglich hinter sich schloss, hörte sie, dass Randolph immer noch dabei war, die schädlichen Auswirkungen der wirtschaftlichen Aspekte des Gesundheitswesens auf den Alltag eines praktizierenden Arztes zu beschreiben. Nachdem sie sich einen Platz gesucht hatte, der so nah wie möglich bei den Geschworenen lag, sah sie ihren glasigen Blicken an, dass sie Randolphs Vortrag auch nicht gebannter zuhörten als vorher. Alexis war noch froher darüber, dass Jack kommen würde. Es gab ihr das Gefühl, etwas zu unternehmen.
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Kapitel 5
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New York City Montag, 5. Juni 2006 15.45 Uhr
Nach dem Gespräch mit seiner Schwester blieb Jack noch ein paar Minuten an seinem Schreibtisch sitzen und trommelte mit den Fingern auf der metallenen Oberfläche herum. Er war nicht ganz offen zu ihr gewesen. Mit ihrer Einschätzung, warum er es vermieden hatte, sie zu besuchen, hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen, was er nicht wirklich zugegeben hatte. Schlimmer noch, er hatte ihr nicht gestanden, dass es immer noch zutraf. Im Grunde könnte die Situation mittlerweile sogar noch schlimmer geworden sein, da Meghan und Christina, Alexis’ jüngere Töchter, genauso alt waren wie seine verstorbenen Töchter Tamara und Lydia. Trotzdem fühlte er sich ihr verpflichtet, wenn er daran dachte, wie nah er und Alexis sich damals in Indiana gestanden hatten. Er war fünf Jahre älter als sie, und der Altersunterschied war gerade groß genug, dass er ihr gegenüber eine Elternrolle einnehmen konnte, aber auch nicht zu groß für eine enge geschwisterliche Beziehung. Dieser Umstand und seine Schuldgefühle, weil er Alexis die gesamten zehn Jahre, die er inzwischen in New York lebte, aus dem Weg gegangen war, machten es ihm unmöglich, ihre Bitte abzuschlagen. Leider würde das nicht ganz einfach werden.
Er stand auf und schwankte kurz, mit wem er zuerst reden sollte. Sein erster Impuls war Laurie, auch wenn ihn diese Aussicht nicht sonderlich lockte, da sie wegen der Hochzeitsvorbereitungen ziemlich angespannt war; ihre Mutter machte sie wahnsinnig, und sie wiederum machte ihn wahnsinnig. Und so kam er zu dem Schluss, dass es vielleicht sinnvoller wäre, als Erstes mit Calvin Washington, dem stellvertretenden Chef zu sprechen. Calvin musste Jack den freien Tag bewilligen. Für den Bruchteil einer Sekunde schoss ihm die Hoffnung durch den Kopf, dass Calvin ihm den Fehltag verweigern würde, da sowohl Jack als auch Laurie ab Freitag bereits zwei Wochen Urlaub genommen hatten. In diesem Fall wären seine Probleme gelöst. Aber eine so praktische Entschuldigung würde es nicht geben.
Calvin würde nicht nein sagen; dringende Familienangelegenheiten wurden immer akzeptiert.
Doch noch bevor er sich von seinem Computer abgemeldet hatte, siegte die Vernunft. Intuitiv wusste er, dass er zumindest versuchen sollte, zuerst mit Laurie zu reden, denn wenn er es nicht tat und sie das später herausfand, würde er eine Menge Ärger bekommen. Mit diesem Gedanken ging er den Flur entlang zu Lauries Büro.
Es gab noch einen Grund, warum Jack keine große Lust hatte, nach Boston zu fliegen. Er schätzte Craig Bowman nicht sonderlich. Alexis zuliebe hatte er ihn ertragen, aber das war ihm noch nie leichtgefallen. Von dem Tag an, als Jack ihm zum ersten Mal begegnet war, hatte er gewusst, was für ein Mensch er war. An seiner Universität hatte es mehrere Studenten dieses Typs gegeben, und sie alle waren die Besten ihrer Klasse. Sie gehörten zu jenen Menschen, die mit Vorliebe jedes Mal, wenn sie in eine medizinische Diskussion verwickelt wurden, alle anderen mit einer Flut von Zitaten aus Zeitschriftenaufsätzen erschlugen, die angeblich ihren Standpunkt bestätigten. Wenn das das einzige Problem gewesen wäre, hätte Jack damit leben können, aber leider gesellten sich zu Craigs rechthaberischer Art noch Arroganz, Großspurigkeit und Anspruchsdenken in entnervendem
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