Cromwell, Bernard
des Rauches etwas
seltsam Süßliches und Widerwärtiges an sich hatte.
Derrewyn schloss die Augen und wiegte sich langsam hin und
her. Sie atmete durch die Nase, aber hin und wieder stieß sie einen tiefen
Seufzer aus, und dann, ganz plötzlich, begann sie zu weinen. Ihre mageren
Schultern bebten, ihr Gesicht verzog sich, und die Tränen begannen zu fließen.
Es war, als ob ihr das Herz bräche. Sie stöhnte und keuchte und schluchzte, die
Tränen strömten unaufhörlich über ihr Gesicht. Dann krümmte sie sich plötzlich
vornüber, als ob sie sich übergeben müsste, und Saban befürchtete schon, sie
würde den Kopf in das schwelende Feuer sinken lassen; aber genauso plötzlich
und unerwartet richtete sie sich wieder kerzengerade auf und starrte zu dem
spitzen Dach empor, während sie keuchend nach Atem rang. »Was siehst du?«,
fragte sie ihn.
»Ich sehe nichts«, erwiderte Saban. Ihm war schwindelig,
als ob er zu viel Schnaps getrunken hätte, aber er sah nichts. Keine Zeichen,
keine Bilder, keine Erscheinungen. Er hatte Angst gehabt, er würde Sannas
sehen, aus dem Totenreich zurückgekehrt - aber es gab nichts außer Schatten und
Rauch und Derrewyns bleichen Körper mit den vorstehenden Rippen.
»Ich sehe Tod«, flüsterte Derrewyn. Die Tränen strömten
noch immer unaufhaltsam über ihre Wangen. »Es wird so viele Tote geben«,
flüsterte sie. »Ihr baut einen Tempel des Todes!«
»Nein!«, protestierte Saban.
»Camabans Tempel«, murmelte Derrewyn, ihre Stimme nicht
lauter als das Wispern eines Windhauchs, der einen Tempelpfeiler streift, »der
Winterschrein, der Schattentempel.« Sie wiegte sich von einer Seite zur
anderen. »Das Blut wird sich wie feiner Nebel auf den Steinen niederschlagen.«
»Nein!«
»Und die Sonnenbraut wird dort sterben«, flüsterte
Derrewyn. »Nein.«
»Deine Sonnenbraut.« Jetzt starrte Derrewyn Saban an, aber
sie sah ihn nicht wirklich, denn sie hatte die Augen so verdreht, dass nur noch
das Weiße auszumachen war. »Sie wird dort sterben, Blut auf Stein.«
»Nein!«, schrie Saban, und seine Heftigkeit riss Derrewyn
abrupt aus ihrer Trance.
Ihr Blick wurde wieder klar, und sie sah überrascht aus.
»Ich erzähle nur, was ich sehe«, erklärte sie ruhig, »und was Sannas mir zu
sehen gibt - sie sieht Camaban ganz deutlich, denn er hat ihr das Leben
gestohlen.«
»Er hat ihr das Leben gestohlen?«, fragte Saban verwirrt.
»Er wurde beobachtet, Saban«, sagte Derrewyn erschöpft.
»Ein Kind hat einen hinkenden Mann im Morgengrauen den Tempel verlassen sehen,
und an ebendiesem Morgen wurde Sannas tot in ihrer Hütte gefunden.« Sie zuckte
die Achseln. »Daher kann Sannas nicht zu ihren Ahnen gehen, nicht, bevor
Camaban sie freigibt - und ich kann ihn nicht töten, denn dann würde ich zusammen
mit ihm auch Sannas töten und müsste ihr Schicksal teilen.« Sie sah zutiefst
niedergeschlagen aus, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich möchte zu Lahanna
gehen, Saban. Ich möchte im Himmel sein. Hier auf Erden gibt es keine Freude,
keine Glückseligkeit mehr.«
»Es wird wieder Freude und Glückseligkeit geben«,
widersprach er energisch. »Wir werden Slaol zurückholen, und dann ist Schluss
mit Wintern und Krankheiten und Traurigkeit.«
Derrewyn lächelte wehmütig. »Keinen Winter mehr«, sagte
sie sehnsüchtig, »und alles nur, indem das Muster wiederhergestellt wird.« Sie
genoss Sabans Verblüffung. »Wir erfahren alles, was in Sarmennyn geschieht«,
erklärte sie. »Die Händler kommen und sprechen mit uns. Wir wissen von eurem
Tempel und euren Hoffnungen. Aber woher wisst ihr, dass das Muster unterbrochen
ist?«
»Es ist ganz einfach so«, antwortete Saban schlicht.
»Ihr seid wie Mäuse«, meinte sie verächtlich, »die
glauben, der Weizen wird zu ihrem Nutzen angebaut, und dass sie durch Gebete
die Menschen daran hindern können, den Weizen abzuernten.« Sie starrte in den
matten Schein des Feuers, und Saban betrachtete sie nachdenklich. Er versuchte,
diese verbitterte Zauberin mit dem hübschen, fröhlichen Mädchen in Einklang zu
bringen, das er einmal gekannt hatte - und vielleicht dachte Derrewyn das
Gleiche, denn plötzlich hob sie den Kopf und blickte zu ihm auf. »Wünschst du
dir nicht manchmal, alles wäre noch so wie früher?«, fragte sie.
»Doch«, sagte Saban, »das wünsche ich mir ständig.«
Sie lächelte über die Inbrunst, die in seiner Stimme
mitschwang. »Ich auch«, sagte sie leise. »Wir waren damals glücklich, wir
beide, nicht wahr? Aber
Weitere Kostenlose Bücher