Cromwell, Bernard
bloß ein Fremdländischer. Niemand würde für ihn tanzen,
und niemand würde für ihn singen, denn seine Ahnen waren nicht die Ahnen der
Ratharryn.
Trotz seiner enormen Kräfte hatte Galeth große Mühe, die
Pfeile aus der Brust des Mannes zu entfernen, denn das starre Fleisch des
Fremden hatte sich um die hölzernen Schäfte zusammengezogen; aber schließlich
lösten sie sich doch, obwohl ihre Spitzen aus Feuerstein in dem Leichnam
stecken blieben, wie sie es auch sollten. Alle Stämme befestigten ihre
Pfeilspitzen relativ locker an den Schäften, damit ein angeschossenes Tier oder
ein Feind die mit Widerhaken versehene Spitze nicht herausziehen konnten - die
stattdessen in der Wunde verbleiben würde, um sie zum Eitern zu bringen.
Galeth warf die drei Pfeilschäfte fort, dann zog er dem Toten die Kleider aus
und ließ ihm nur den flachen Steinkeil, der mit Lederschnüren an seinem
Handgelenk befestigt war. Neel befürchtete, dass der Stein, der wundervoll
poliert war, ein magisches Amulett war, das einen bösen Geist aus den
Albträumen der Fremdländischen auf Ratharryn herabbeschwören könnte. Zwar
erklärte Galeth beharrlich, dass der Steinkeil lediglich dem Zweck gedient
habe, das Handgelenk des Fremden vor dem Peitschenhieb seiner Bogensehne zu
schützen, doch der junge Priester wollte sich nicht davon überzeugen lassen.
Er berührte abermals seine Lenden, um das Böse abzuwehren, dann spuckte er auf
den Stein. »Begrabt ihn!«
Galeth' Männer benutzten Geweihstöcke und Schaufeln aus den
Schulterblättern von Ochsen, um den Graben neben dem Sonneneingang des Tempels
zu vertiefen, dann zerrte Galeth den nackten Leichnam durch das
Haselnussgestrüpp und warf ihn in die flache Grube. Die übrigen Pfeile des
Fremden wurden zerbrochen und neben ihn in das Loch geworfen, dann wurde das Erdreich
wieder über die Leiche gehäuft und flach getrampelt. Neel urinierte auf das
Grab, murmelte einen Fluch auf den Geist des Toten und kehrte zu dem Tempel
zurück.
»Sind wir noch nicht fertig?«, fragte Galeth.
Der junge Priester hob eine Hand, um ihnen zu bedeuten,
dass sie schweigen sollten. Er schlich in gebückter Haltung durch das
Haselnussdickicht und blieb alle paar Schritte stehen, um angestrengt zu
horchen - ganz so, als ob er sich an irgendein großes Tier anschlich. Galeth
ließ ihn gehen, weil er annahm, Neel wollte sich nur vergewissern, dass der
Geist des Fremden nicht an dem Tempel festhielt; doch dann waren plötzlich
hastige Schritte zu hören, gefolgt von einem lauten Aufschrei und einem jämmerlichen
Geheul irgendwo inmitten der Haselnusssträucher, und Galeth stürmte in die
Mitte des Tempels, um zu entdecken, dass Neel ein wild zappelndes Wesen am Ohr
festhielt. Der Gefangene des Priesters war ein schmutziger Junge mit wirrem
schwarzem Haar, das verfilzt und zottelig in ein schmutziges Gesicht hing,
derart mit Dreck verkrustet, dass er ebenso sehr Tier wie Mensch sein konnte.
Der Junge, fast bis auf das Skelett abgemagert, trat heftig gegen Neels Beine
und quiekte wie ein Schwein, während Neel wild auf ihn eindrosch, um ihn zum
Schweigen zu bringen. »Lass ihn los«, befahl Galeth.
»Hirac will ihn haben«, sagte Neel, als es ihm schließlich
gelang, dem Jungen einen schmerzhaften Schlag ins Gesicht zu versetzen. »Und
ich will wissen, warum er sich hier versteckt hat! Ich habe ihn gerochen.
Abscheuliche, stinkende Bestie!« Er spuckte den Jungen an, dann verpasste er
ihm abermals eine schallende Ohrfeige. »Ich wusste doch, dass sich hier jemand
zu schaffen gemacht hat«, fuhr Neel triumphierend fort und wies mit seiner
freien Hand auf die sorgfältig gerodete Fläche, in deren Mitte der
Ochsenschädel thronte, »und es ist dieser dreckige kleine Schuft!« Sein
letztes Wort verwandelte sich in einen gequälten Aufschrei, als er plötzlich
das Ohr des Jungen losließ und sich schmerzgepeinigt vornüber krümmte. Galeth
bekam mit, dass der Junge blitzschnell unter Neels mit Knochen gesäumtes Hemd
gegriffen hatte, um ihn in sein Geschlechtsteil zu kneifen, und sich dann wie
ein Fuchsjunges, das von einem Jagdhund gepackt und unerwartet wieder
freigelassen worden war, auf alle viere fallen ließ, um hastig in die Sträucher
zu kriechen.
»Holt ihn zurück!«, schrie Neel. Er hielt beide Hände
gegen seine Leistengegend gepresst und schaukelte vor und zurück, um den
qualvollen Schmerz zu lindern. »Lass ihn in Ruhe«, winkte Galeth ab. »Hirac
will ihn haben!«, widersprach Neel beharrlich.
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