Cromwell, Bernard
Fahnenträger war in einen
Umhang aus Wolfsfell gehüllt, und die Maske des Wolfes thronte wie ein zweites
Gesicht auf seinem Kopf. Er stand hoch aufgerichtet da, eine finstere Gestalt
vor dem sonnigen Himmel, und schwenkte die Fahne - einen Herzschlag später
füllte sich die gesamte Hügelkuppe mit Kriegern.
Sie waren in einer langen Gefechtslinie aufmarschiert, und
wenn sie Eindruck machen wollten, so gelang ihnen das ganz zweifellos. Im einen
Moment war der Hügelkamm noch menschenleer, im nächsten wimmelte es dort oben
von Speerkämpfern in solch einer Menge, dass Saban wusste, es handelte sich um
die vereinte Streitmacht von Ratharryn und Drewenna. Ihre Speere bildeten
eine gezackte Mauer, und ihr plötzliches Gebrüll erschreckte Lallic. Es war
eine Furcht einflößende Machtdemonstration, nur dass sich diese Streitmacht
nicht einem Feind präsentierte, sondern Lengars eigenem Heimatort. Lengar war
selbstverständlich klar, dass auch Cathallo von dieser Horde erfahren würde,
alle sollten seine Macht fürchten!
Lengar selbst, groß und stattlich in einen Umhang gehüllt,
einen Speer in der Hand und ein Schwert im Gürtel, erschien in der Mitte seiner
Streitmacht. Ein Dutzend Männer, seine Heerführer, umringten ihn, und neben ihm
stand - klein und gedrungen wirkend - Kellan, Clanführer von Drewenna und
Lengars Lakai. Lengar stand einen Moment lang reglos da, dann winkte er seine Eskorte
vorwärts. »Wie werden sie nur alle verköstigt?«, wunderte sich Aurenna laut.
»Im Sommer ist das nicht weiter schwierig«, erklärte
Saban. »Es gibt reichlich Wild und Schweine. Mehr Schweine, als du dir
vorstellen kannst. Es ist ein fruchtbares, ergiebiges Land. Und im Winter«,
fügte er hinzu, »plündert man die Herden seiner Nachbarn.«
Lengar erblickte Saban und marschierte auf ihn zu. Der
Clanführer von Ratharryn trug sein langes Lederhemd, das mit Bronzestreifen
benäht war; um seine Schultern lag ein wollener Umhang, und in der Hand hielt
er einen massiven Speer mit einer polierten Bronzeklinge. Streifen von
Fuchsfell hingen von dem Speerschaft herab, und weitere Fellstreifen waren um
sein Arme und Beine gewickelt. Adlerfedern schmückten sein Haar, das eingeölt
worden war, sodass es glatt an seinem Kopf klebte; dies erinnerte Saban wieder
an jenen lang zurückliegenden Tag, als der Fremde gestorben war und Lengar ihn
- Saban - bis zur Siedlung verfolgt hatte. Die eintätowierten Male, jedes ein
Symbol für einen getöteten Feind, reichten jetzt bis zu Lengars Handrücken und
Fingern hinunter, während die tätowierten Hörner neben seinen Augen seinem
Gesicht eine bösartige Macht und Schärfe verliehen. Saban spürte, wie Leir
unwillkürlich erzitterte, und er tätschelte dem Jungen beruhigend den Kopf.
Lengar blieb ein paar Schritte von Saban entfernt stehen.
Einen oder zwei Augenblicke lang starrte er Saban schweigend an, dann sagte er
spöttisch: »Mein kleiner Bruder! Ich dachte schon, du würdest es niemals wagen,
nach Hause zu kommen.«
»Warum sollte sich ein Mann davor fürchten, heimzukehren?«,
fragte Saban.
Aber Lengar hörte ihm überhaupt nicht zu. Er starrte
Aurenna an. Sie war noch immer so groß und schlank und anmutig wie an dem Tag,
als Saban ihr das erste Mal begegnet war - nach wie vor eine sehr anziehende
Frau, die Clanführere über das Meer hätte locken können. Sie begegnete Lengars
Blick ruhig und gelassen, während Lengar ehrlich erstaunt aussah, als traute er
seinen Augen nicht. Er fuhr fort, Aurenna anzustarren, ließ seinen Blick von
ihrem Kopf bis zu ihren Zehenspitzen wandern und dann wieder hinauf. »Ist das
Aurenna?«, fragte er.
»Meine Ehefrau«, bestätigte Saban, den Arm noch immer um
ihre Schultern gelegt.
»Dann hat Gundur also die Wahrheit gesagt«, sagte Lengar
leise.
»Worüber?«, wollte Saban wissen.
Lengar starrte Aurenna noch immer an. Ȇber deine Frau
natürlich«, gab er schroff von sich. Seine Heerführer standen wie angeleinte
Hunde hinter ihm, allesamt große, kräftige Männer mit langen Speeren, langen Umhängen,
langem geflochtenem Haar und langen Bärten - auch sie starrten hungrig auf die
große, hellhaarige Frau aus Sarmennyn. Schließlich zwang Lengar sich, den Blick
von Aurenna abzuwenden. »Dein Sohn?«, fragte er Saban, während er mit einer
Kopfbewegung auf Leir wies.
»Er heißt Leir, Sohn von Saban, Sohn von Hengall.«
»Und dieses Kind ist eine Tochter?« Lengar betrachtete
Lallic, die in Aurennas Armen lag.
»Sie heißt
Weitere Kostenlose Bücher