Cromwell, Bernard
gegen Hannas schmale Kehle.
»Leg eine Hand auf den Schädel«, befahl er Saban, »und schwöre bei den Ahnen,
dass dieses Kind nicht Derrewyns Balg ist.«
Saban streckte langsam die Hand aus. Dies war der
heiligste Eid, den es gab, und die Ahnen zu täuschen bedeutete, seinen ganzen
Stamm zu hintergehen — aber dennoch legte er seine Finger auf den Totenschädel.
»Ich schwöre es!«
»Beim Leben deiner Tochter?«, verlangte Camaban zu wissen.
Saban schwitzte jetzt aus allen Poren. Die Welt um ihn
herum schien zu zittern, aber Hanna starrte ihn aus großen Augen an, und er
fühlte, wie er abermals nickte. »Bei Lallics Leben«, sagte er im Bewusstsein,
damit die Götter herauszufordern. Er würde Wiedergutmachung leisten müssen,
wenn Lallic am Leben bleiben sollte — aber wie nur?
Camaban schubste Hanna beiseite, und sie rannte zu Saban,
klammerte sich weinend an ihn. Er hob sie hoch und presste sie fest an sich.
»Bau mir diesen Tempel, Bruder«, befahl Camaban, während
er sein Schwert wieder in seinen Ledergürtel schob. »Bau mir diesen Tempel,
aber beeil dich gefälligst!« Seine Stimme wurde jetzt lauter. »Ständig kommst
du mir mit irgendwelchen Ausflüchten! Der Stein ist zu hart, der Boden ist zu
nass für Schlitten, die Hufe der Ochsen brechen. Und es geschieht nichts! Gar
nichts!« Die letzten Worte kreischte er förmlich. Er zitterte derart vor Wut,
dass Saban sich fragte, ob sein Bruder im Begriff war, die Augen zu verdrehen
und brüllend und tobend in eine Vision zu fallen, die den Tempel mit Blut und
Furcht erfüllen würde — aber Camaban schrie nur, als ob er von schrecklichen
Schmerzen gepeinigt würde, dann machte er abrupt kehrt und stürmte davon. »Bau
mir meinen Tempel!«, brüllte er erneut, und Saban hielt Hanna fest umschlungen,
denn sie weinte vor Angst.
Als Camaban zum Tempelausgang jagte, gefolgt von seinen
Kriegern, stützte Saban sich auf den langen Stein und stieß einen abgrundtiefen
Seufzer aus. Es war ein kalter Tag, aber er schwitzte noch immer. Kilda rannte
zu ihm und zog Hanna in ihre Arme. »Ich dachte, er würde euch beide
umbringen!«, hauchte sie tonlos.
»Ich habe beim Leben meiner Tochter auf Hannas Leben
geschworen«, sagte Saban dumpf. »Er wusste genau, wer Hanna ist, und ich habe
geschworen, dass sie es nicht ist.« Er schloss die Augen, an allen Gliedern zitternd.
»Ich habe einen Meineid geleistet.«
Kilda schwieg. Die Sklaven beobachteten Saban.
»Ich habe Lallics Leben in die Waagschale geworfen«, schluchzte
Saban, und die Tränen rollten über seine Wangen, um Furchen in dem weißen
Steinstaub zu hinterlassen.
»Was wirst du tun?«, fragte Kilda ruhig.
»Die Götter müssen mir vergeben«, murmelte Saban. »Niemand
sonst kann das.«
»Wenn du den Göttern einen Tempel baust«, tröstete Kilda,
»dann werden sie dir vergeben. Also bau ihn, Saban, bau ihn!« Sie streckte die
Hand aus und wischte ihm eine Träne vom Gesicht. »Und wie wirst du die
Decksteine hochhieven?«, erkundigte sie sich.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Saban, »ich weiß gar
nichts mehr.« Aber wenn ich eine Lösung finde, dachte er, dann werden die
Götter mir vielleicht wirklich verzeihen, und Lallic bleibt am Leben. Nur der
Tempel konnte seine Tochter jetzt noch retten, und deshalb fuhr er zu den Sklaven
herum. »Arbeitet!«, beschwor er sie eindringlich. »Arbeitet und gebt eurer
Bestes! Je eher das Heiligtum fertig ist, desto eher sind wir alle frei!«
Und sie arbeiteten. Sie hämmerten und meißelten und
schliffen, sie gruben in Geröll und Erde, sie polierten Stein, bis ihre Arme
schmerzten und ihre Nasenlöcher mit Staub gefüllt waren und ihre Augen
brannten. Die Stärksten von ihnen bearbeiteten den langen Stein, und er wurde
noch vor der Wintersonnenwende fertig, wie Saban es versprochen hatte. Es kam
der Tag, als es an dem Stein nichts mehr zu formen gab, denn er war aus einem
kantigen Felsbrocken in einen schlanken, eleganten und spitz zulaufenden
Felsbrocken verwandelt worden, und Saban musste ihn endlich aufstellen. Er
erinnerte sich an Galeth' Rat und nahm sich vor, den Stein in Seitenlage
aufzurichten, denn er befürchtete, dass der schmale Pfeiler sonst durch sein
enormes Gewicht in zwei Teile zerbrechen könnte. Aber zuerst musste der Stein
zum Rand des vorbereiteten Loches befördert werden, und es dauerte sechs Tage,
angefüllt mit Hebeln und Stemmen und Schwitzen und Fluchen; dann musste der
Stein auf eine seiner langen Schmalseiten gedreht werden,
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