Cromwell, Bernard
»dass keiner von uns wirklich weiß, warum wir den Tempel
eigentlich bauen. Camaban behauptet, er wüsste es, und Aurenna ist überzeugt,
dass er die Götter ins Ehebett locken wird — aber ich weiß nicht, was die
Götter wirklich von uns erwarten. Außer dass sie den Tempel gebaut haben
wollen. Ich glaube, wenn er fertig ist, wird er uns alle überraschen.«
»Und genau das hat Derrewyn immer geweissagt«, erwiderte
Kilda.
Der Tag der Wintersonnenwende kam, der Stamm entfachte
seine Feuer und veranstaltete ein Festmahl. Die Sklaven aßen neben dem Tempel,
und nach dem Wintersonnenwendefest, als der erste Schnee fiel, begannen sie
damit, den zweiten Pfeiler des hohen Bogens zu formen. Dieser Pfeiler war der
zweitlängste Stein, aber er war trotzdem zu kurz, weil Saban keinen weiteren
Stein mit denselben Maßen hatte finden können. Aus diesem Grund hatte er den
Fuß des zweiten Pfeilers absichtlich klumpig und unförmig gelassen — ähnlich
wie Camabans Fuß, bevor Sannas ihm die Knochen gebrochen und gerade gerichtet
hatte —, weil er hoffte, dass sich der Pfeiler durch den schweren,
knollenartigen Fuß besser in der Erde verankern ließe. Er würde ihn in ein
flacheres Loch senken, damit der zweite Pfeiler die gleiche Höhe wie der erste
hätte.
Er stellte den Stein im Frühjahr auf. Der Dreifuß wurde
errichtet, die Ochsen wurden angespannt, und als die Tiere zu ziehen begannen,
hörte Saban, wie der unförmige Fuß des Pfeilers knirschend das Kreidegeröll
und die Holzbohlen zermalmte; aber schließlich stand er aufrecht, und das Loch
konnte gefüllt werden. Nun ragten zwei Pfeiler aus dem Erdboden, Seite an Seite
und unten am Fuß so dicht zusammenstehend, dass sich selbst ein junges Kätzchen
nur mit Mühe zwischen ihnen hätte hindurchwinden können — wohingegen sich das
Pfeilerpaar nach oben hin verjüngte und so eine Lücke bildete, durch die die
Wintersonne scheinen würde.
»Wann wirst du den Deckstein anpacken?«, wollte Camaban
wissen.
»In einem Jahr«, sagte Saban, »vielleicht auch erst in
zwei Jahren.«
»Ein Jahr!«, protestierte Camaban.
»Die Steine müssen sich erst setzen«, erklärte Saban. »Wir
werden die Löcher das ganze Jahr über nachfüllen und feststampfen.«
»Dann braucht also jeder Pfeiler ein Jahr, um seinen Stand
zu festigen?«, fragte Camaban entsetzt.
»Zwei Jahre wären besser.«
Camaban wurde immer ungeduldiger und ärgerlicher. Er war
ungehalten und wütend, wenn die Ochsen störrisch waren oder Zugriemen rissen
oder wenn — wie es zweimal passierte — ein Dreifuß zusammenbrach. Er hasste es,
wenn Steine am Ende umkippten und es viele Tage harter Arbeit erforderte, sie
wieder senkrecht zu stellen und Erde und Geröll um ihre Sockel herum festzustampfen.
Drei volle Jahre dauerte es, die zehn Pfeiler des Sonnenhauses
zu formen und aufzustellen. Das Aufstellen der Steine war noch der leichteste
Teil des Ganzen; der schwerste war das langwierige Schleifen und Meißeln, das
den Tempel unablässig mit Lärm und Staub erfüllte. Als besonders schwierig und
mühsam erwies sich die Aufgabe, die Pfeilerspitzen mit den Zapfen zu versehen,
die zur Befestigung der Decksteine dienten; denn jeder Zapfen war doppelt so
breit wie eine Männerhand, und um diese Zapfen zu formen, mussten die Sklaven
den Rest der Pfeilerspitze abschleifen, was sie Staubkorn für Staubkorn taten.
Saban wies die Männer auch an, einen schmalen Rand um jeden Stein herum stehen
zu lassen, sodass die Decksteine sowohl seitlich als auch durch die
vorstehenden Zapfen gehalten würden.
Leir bewies seine Mannbarkeit in dem Jahr, in dem der
letzte Pfeiler des Sonnenhauses aufgestellt wurde, demselben Jahr, in dem sechs
der Pfeiler des Himmelsrings in die Erde kamen. Leir bestand seine Prüfungen
und zertrümmerte danach voller Freude den Kreideball, der den Geist seiner
Kindheit beherbergte. Saban schenkte ihm einen Speer mit einer Bronzespitze,
dann stach er seinem Sohn die Tätowierungen in die Brust, die ihn als
erwachsenen Mann auswiesen. »Wirst du nach Cathallo gehen und dich deiner
Mutter zeigen?«, fragte er Leir.
»Sie wird mich nicht sehen wollen.«
»Unsinn, sie ist bestimmt stolz auf dich«, widersprach
Saban energisch, obwohl er bezweifelte, dass das der Wahrheit entsprach.
Leir schnitt eine Grimasse. »Aurenna wird enttäuscht von
mir sein.«
»Dann geh und besuche deine Schwester«, schlug Saban vor,
»und sag ihr, dass ich sie sehr vermisse.« Er hatte Lallic nicht mehr
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