Cromwell, Bernard
von Slaols verlöschendem Licht immer
mehr im Schwinden begriffen war; alle Zuschauer stöhnten und wehklagten aus
Angst vor der toten Zauberin in ihrem schwarz-weißen Dachsfellumhang. Die
Speerkämpfer wagten es jetzt nicht, einzuschreiten, denn sie hatten Camabans
Todesangst wahrgenommen, und diese übertrug sich auf sie.
Sannas löste ihren Mund wieder von Camabans Lippen.
»Lahanna!«, betete sie mit krächzender Stimme, »gib mir seinen letzten
Atemzug!«; dann küsste sie Camaban abermals, und Saban stieß seinem Bruder mit
aller Kraft den Speer in den Rücken. Er zögerte nicht eine Sekunde, denn es
war sein Eid, der das Leben seiner Tochter in Gefahr gebracht hatte - nur er
allein konnte sie retten, und er stach hoch in Camabans Rücken, sodass sich
die schwere Speerklinge durch die Rippen bohrte, geradewegs in sein Herz.
Camaban schrie gellend auf, als Saban zustach, und die Wucht seines tödlichen
Speerstoßes trieb Camaban vorwärts, sodass er sterbend gegen Sannas taumelte,
die Lippen der alten Frau noch immer auf seine gepresst.
Sannas umklammerte Camaban, als sie beide zu Boden
stürzten; dann wartete sie, bis ihr Feind wirklich tot war, bevor sie ihre
Kapuze zurückschob. Und Saban sah, dass es Derrewyn war, wie er bereits geahnt
hatte; schweigend blickten sie einander an, das Gras zwischen ihnen von Blut
durchtränkt und das Licht fast von dem Sonnenstein verschwunden. »Ich habe ihm
seine Seele geraubt«, flüsterte Derrewyn Saban zu. Ihr Haar war mit Asche weiß
gefärbt, und ihr Gaumen waren noch immer blutig an den Stellen, wo sie sich die
Zähne herausgezogen hatte. »Ich habe ihm seine Seele geraubt!«, jubelte sie.
In diesem Augenblick kam Aurenna schreiend aus dem Tempel gestürmt, und als sie
an Saban vorbeirannte, zog sie einen Kupferdolch unter ihrem mit Rabenfedern
besetzten Umhang hervor. Auf Lallics Gesicht lag immer noch ein Schimmer. Das
Licht der untergehenden Sonne fiel auf die Sonnenbraut und den Stein hinter ihr
— den Stein, über dem Slaol am Tag der Sommersonnenwende aufging und der dazu
diente, den Gott an seine sommerliche Kraft zu erinnern. Slaol konnte den
Stein sehen, seine Macht erkennen, und indem er erkannte, welches Geschenk an
dem Stein auf ihn wartete, würde er wissen, was sein liebendes Volk von ihm
erhoffte. Dann würde er ihnen doch sicherlich seine Gnade erweisen? In diesem
Glauben riss Aurenna ihre grüne Kupferklinge hoch, stach ihrer Tochter in die
Kehle, sodass das Blut in einem Strahl herausschoss und Camabans weiß
gefiederten Umhang mit scharlachroten Tropfen bespritzte.
»Nein!«, schrie Saban verzweifelt, aber es war zu spät.
»Jetzt!« Aurenna wandte sich zur Sonne um. »Jetzt!«
Saban starrte voller Entsetzten geradeaus. Er hatte gedacht,
Aurenna wäre herbeigerannt, um Lallic zu retten, und nicht, um sie zu töten,
aber das Mädchen war leblos am Fuß des Steines zusammengebrochen, und ihr schlanker
weißer Körper war mit einem Netz von Blutrinnsalen überzogen. Erstickt keuchte
sie nochmals auf und blickte Saban einen Moment lang mit weit aufgerissenen
starren Augen an — aber dann war sie tot, und Aurenna warf den Dolch zu Boden,
schrie abermals zu Slaol hinauf: »Jetzt! Jetzt!«
Lallic regte sich nicht mehr.
»Jetzt!«, heulte Aurenna. In ihren Augen standen Tränen.
»Du hast es versprochen! Du hast es versprochen!« Sie taumelte auf den Tempel
zu, ihr Haar wild und zerzaust, ihre Augen weit aufgerissen, ihre Hände rot
von dem Blut ihrer Tochter. »Erek!«, kreischte sie. »Erek! Jetzt! Jetzt!«
Saban wandte sich um, um ihr zu folgen, doch Derrewyn
hielt ihn mit einer Hand zurück. »Lass sie die Wahrheit herausfinden«, sagte
sie, noch immer mit Sannas' Stimme sprechend.
»Jetzt!«, röchelte Aurenna. »Du hast es uns versprochen!
Bitte!« Sie weinte jetzt, ihr Körper von heftigem Schluchzen erschüttert.
»Bitte, Erek! Bitte!« Sie rannte wieder zwischen die Steine. Der Lichtstrahl
war erloschen, sodass der Tempel jetzt vollkommen von Schatten erfüllt, aber
noch von dem schwächer werdenden Licht der untergehenden Sonne umrahmt war;
Aurenna fuhr weinend und wehklagend in der Erkenntnis herum, dass ihre Tochter
nicht wieder zum Leben erwacht war; sie jagte zwischen den Steinen hindurch,
wand sich an den Pfeilern vorbei, die zum Eingang auf der Südseite des
Himmelsrings führten, und ließ sich in der breiten Lücke neben dem schlanken,
geborstenen Steinpfeiler auf die Knie fallen, während sie flehend die Hände hob
und abermals
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