Cromwell, Bernard
zur Sonne hinaufschrie, die jetzt blutrot und gewaltig und
gleichgültig am Horizont schwebte. »Du hast es versprochen! Du hast es
versprochen!«
Saban sah es nicht. Er hörte es nur. Er hörte das Knacken,
das mahlende, knirschende Geräusch und dann das laute Krachen, das den Erdboden
erzittern ließ - nun war doch der letzte Pfeiler von Lahannas Ring geborsten
und der Deckstein heruntergestürzt. Abrupt endete Aurennas Schrei.
Slaol verschwand hinter dem Horizont. Auf der Erde
herrschte Stille.
Saban wollte nicht Clanführer von Ratharryn sein; dennoch
fiel die Wahl der Stammesmitglieder auf ihn, und sie erlaubten ihm nicht, das
Amt abzulehnen. Er argumentierte, dass Leir ein sehr viel jüngerer Mann sei
und Gundur ein erfahrenerer Krieger — aber die Männer von Ratharryn hatten es
satt, von Speerkämpfern oder Träumern angeführt zu werden, deshalb wollten sie
Saban. Sie wollten so einen Anführer wie Hengall, und so regierte Saban, wie
einst sein Vater in Ratharryn regiert hatte. Er sprach Recht, legte
Getreidevorräte an und ließ sich von den Priestern sagen, durch welche Zeichen
die Götter ihre Wünsche mitteilten.
Derrewyn ging nach Cathallo zurück und ernannte dort einen
neuen Clanführer; aber Leir und Hanna blieben in Ratharryn, wo Kilda Sabans Ehefrau
wurde. Slaols Tempel, der Alte Tempel direkt vor den Toren der Siedlung, wurde
Lahanna geweiht.
Die Welt war noch genauso, wie sie immer gewesen war, der
Winter so kalt wie eh und je. Es schneite. Die Alten, die Kranken und
Verfluchten starben. Saban teilte Getreide aus, schickte Jäger in die Wälder
und hütete die Schätze des Stammes. Einige der alten Leute sagten, es sei fast
so, als ob Hengall niemals gestorben wäre, sondern ganz einfach in Saban
wiedergeboren.
Dennoch stand auf dem Hügel ein unterbrochener Kreis von
Steinen, umringt von einem Wall aus Kreide.
Die Leichen von Camaban, Aurenna und Lallic wurden in das
Totenhaus gelegt, damit sie dort im Schatten des Muttersteins ruhten, und die
Raben ernährten sich von ihrem Fleisch, bis schließlich im späten Frühjahr nur
noch weiße Knochen im Gras lagen. Haraggs Gebeine hatte man längst begraben.
Der Tempel war niemals leer und verlassen. Selbst in jenem
ersten harten Winter kamen ständig Leute herbeigepilgert. Sie brachten ihre
Kranken, damit sie geheilt wurden; sie beteten darum, dass sich ihre
Wunschträume erfüllten, und sie brachten Geschenke, um Ratharryns Reichtum zu
mehren. Saban war überrascht darüber, denn er hatte gedacht, dass der Tempel
mit Camabans Tod und dem Sturz des Decksteins gescheitert war. Slaol war nicht
zur Erde zurückgekehrt, und der Winter blockierte den Fluss noch immer mit
Eisschollen; aber die Menschen, die zu dem Tempel kamen, glaubten fest an die
Wunderkraft der Steine. »Und die haben sie ja auch«, sagte Derrewyn im ersten
Frühling nach Camabans Tod zu Saban.
»Was denn für eine Wunderkraft?«, fragte Saban.
Derrewyn schnitt eine Grimasse. »Dein Bruder glaubte, die
Steine würden Macht über die Götter erlangen. Er bildete sich ein, er sei
selbst ein Gott und Aurenna eine Göttin. Und was ist geschehen?«
»Sie sind gestorben«, erwiderte Saban brüsk.
»Die Steine haben sie getötet«, erläuterte Derrewyn. »In
jener Nacht sind die Götter tatsächlich in den Tempel gekommen, haben den Mann
getötet und die Frau zerquetscht - wegen ihrer wahnsinnigen Anmaßung.«
Nachdenklich starrte sie auf den Tempel. »Es ist ein Ort der Götter, Saban.
Wirklich und wahrhaftig!«
»Sie haben auch meine Tochter getötet«, erinnerte Saban
sie traurig.
»Die Götter fordern nun einmal Opfer.« Derrewyns Stimme
klang scharf. »Das haben sie schon immer getan. Und so wird es auch ewig
bleiben!«
Aurenna und Lallic wurden in ein gemeinsames Grab
gebettet, und Saban schüttete einen Grabhügel über ihnen auf. Er baute einen
weiteren Hügel für Camaban, und es war dieses zweite Grab, das Derrewyn nach Ratharryn
geführt hatte. Sie schaute zu, wie Camabans Gebeine in die Grube in der Mitte
des Hügels gelegt wurden. »Willst du ihm nicht den Kieferknochen herausbrechen?«,
fragte sie Saban.
»Soll er doch mit den Göttern reden, wie er es immer getan
hat!« Saban legte den steinernen Streitkolben neben die Gebeine seines
Bruders, dann legte er das Messer mit dem goldenen Heft dazu, den Kupferdolch,
die massive goldene Gürtelschnalle und als letztes eine Bronzeaxt. »Im Leben
nach dem Tod«, erklärte Saban, »kann er arbeiten. Er hat sich immer
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