Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
Vom Netzwerk:
Richards.
    Amy hatte angefangen zu weinen, und ihre Brust
verkrampfte sich in einem Schluckauf. Wolgast gab Doyle den Schlüssel zurück,
nahm sie auf den Arm und drückte sie an sich. Sie erschlaffte an seiner Brust.
»Es tut mir leid, es tut mir leid.« Etwas anderes fiel ihm nicht ein.
    »Das ist sehr rührend«, sagte Richards und
reichte Doyle den kleinen Rucksack mit Amys Habseligkeiten, »aber wenn wir
jetzt nicht gehen, werde ich noch sehr viel mehr Leute erschießen, und ich
finde, ich hatte jetzt schon einen sehr ausgefüllten Morgen.«
    Wolgast dachte an das Restaurant. Möglicherweise
waren auch dort alle tot. Er fühlte Amys Schluckauf an seiner Brust, und ihre
Tränen durchnässten sein Hemd. »Verdammt noch mal, sie ist ein Kind.«
    Richards runzelte die Stirn. »Wieso sagt jeder
das dauernd?« Er deutete mit der Pistole zur Tür. »Gehen wir.«
    Der Tahoe wartete draußen in der Morgensonne; er
parkte neben Price' Streifenwagen. Richards befahl Doyle, zu fahren, und
setzte sich mit Amy auf den Rücksitz. Wolgast fühlte sich absolut hilflos; nach
allem, was er getan, nach Hunderten Entscheidungen, die er getroffen hatte,
konnte er jetzt nur noch gehorchen. Richards dirigierte sie aus der Stadt
hinaus und auf ein freies Feld, auf dem ein Hubschrauber mit schlanken,
schwarzen Umrissen stand. Als sie herankamen, begann der Rotor sich zu drehen.
Wolgast hörte Sirenengeheul in der Ferne, das immer näher kam.
    »Beeilung jetzt.« Richards wedelte mit seiner
Waffe.
    Sie stiegen in den Hubschrauber und waren im nächsten
Augenblick in der Luft. Wolgast hielt Amy fest umschlungen. Er fühlte sich wie
in Trance oder in einem Traum - in einem furchtbaren, unbeschreiblichen Traum,
in dem ihm alles, was er sich jemals im Leben gewünscht hatte, genommen wurde,
ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Er hatte diesen Traum schon öfter
geträumt; es war ein Traum, in dem er sterben wollte, aber nicht konnte. Der
Hubschrauber flog eine Steilkurve, die einen Blick auf die lehmigen Felder
eröffnete. Weiter hinten raste eine Kolonne von Polizeiwagen die Straße
entlang. Wolgast zählte neun Fahrzeuge. Vorn im Cockpit deutete Richards durch
die Scheibe und sagte etwas zu dem Piloten, der den Hubschrauber daraufhin in
die entgegengesetzte Richtung kurven und dann auf der Stelle schweben ließ.
Die Streifenwagen kamen immer näher und waren nur noch wenige hundert Meter
vom Tahoe entfernt. Richards bedeutete Wolgast durch ein Handzeichen, er solle
einen Kopfhörer aufsetzen.
    »Jetzt passen Sie auf«, sagte er dann.
    Bevor Wolgast etwas sagen konnte, erstrahlte ein
gleißender Lichtblitz wie von einer gigantischen Kamera, und ein Stoß
erschütterte den Hubschrauber. Wolgast umfasste Amys Taille und drückte sie an
sich. Als er wieder aus dem Fenster schaute, war von dem Tahoe nur noch ein
rauchendes Loch im Boden zurückgeblieben, so groß, dass ein Haus hineingepasst
hätte. Er hörte Richards Lachen im Kopfhörer. Der Helikopter legte sich auf
die Seite, und die Beschleunigung presste sie in die Sitze, als er mit ihnen
davonflog.
     
    12
     
    Er war ein toter Mann, so viel stand fest.
Wolgast hatte sich damit abgefunden; er wusste, dass es unvermeidbar war. Wenn
alles vorbei wäre - ganz gleich, wie es verlaufen mochte -, würde Richards ihn
irgendwo in einen Raum führen, ihn mit dem gleichen kühlen Blick ansehen, mit
dem er Price und Kirk angesehen hatte, prüfend, als versuche er, eine
Billardkugel anzuvisieren oder eine Papierkugel in den Abfallkorb zu werfen,
und das wäre dann das Ende.
    Möglich, dass Richards ihn dazu auch ins Freie
bringen würde. Wolgast hoffte, er könnte Bäume sehen und die Sonne auf der
Haut fühlen, bevor Richards ihm eine Kugel in den Kopf jagte. Vielleicht würde
er sogar darum bitten. Hätten sie was dagegen?, würde er sagen. Wenn es nicht
zu viele Umstände macht. Ich würde gern die Bäume ansehen.
    Er war jetzt seit siebenundzwanzig Tagen auf dem
Gelände. Nach seiner Zählung war es die dritte Aprilwoche. Wo Amy oder Doyle
war, wusste er nicht. Sie waren sofort nach der Landung getrennt worden;
Richards und ein paar bewaffnete Soldaten hatten Amy weggebracht, und Wolgast
und Doyle waren von einer eigenen Eskorte in die andere Richtung abgeführt
worden, aber dann hatte man sie auch getrennt. Eine Schlußbesprechung hatte
nicht stattgefunden. Zuerst hatte er sich gewundert, aber als genug Zeit
vergangen war, hatte er begriffen, weshalb. Es hatte keinen offiziellen
Einsatz

Weitere Kostenlose Bücher