Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Uebergang
Vom Netzwerk:
Boden. Sie stieß einen dünnen Pfiff aus; es klang
wie der Ruf eines Vogels. Alles klar. Vorwärts.
    »Also los«, sagte Theo.
    Peter spürte, dass sein Herz schneller schlug.
Nach der Monotonie des langen Ritts vom Berg herunter waren seine Sinne
abgestumpft, aber jetzt erwachten sie wieder, und er nahm seine Umgebung mit
verschärftem Bewusstsein wahr, als sehe er die Szenerie aus mehreren
Blickwinkeln gleichzeitig. In gleichmäßigem Tempo ritten sie weiter, und sie
hielten ihre Bögen schussbereit. Niemand sprach; nur Finn war vom Karren
heruntergeklettert, führte die Maultierstute am Zügel und murmelte ihr
beruhigende Worte zu. Der Weg, dem sie folgten, war kaum mehr als eine
Sandpiste, zerfurcht von den Rädern der Karren, die hier seit vielen Jahren
entlangfuhren. Peter empfand jedes Geräusch, jede Bewegung in der Landschaft
wie ein Kribbeln in den Extremitäten: das leise Heulen des Windes durch ein
zerbrochenes Fenster, das Flattern eines Segeltuchfetzens, der an einem
schiefen Strommast hängen geblieben war, das Knarren eines längst unlesbaren
Metallschilds, das über den Zapfsäulen einer alten Tankstelle hin und her
schaukelte. Sie kamen an einem Haufen verrosteter Autos vorbei, halb im Sand
begraben und ineinander verkeilt. Vor einem Häuserblock türmten sich Dünen,
die fast bis unter das Dach reichten. Aus einer Wellblechhalle, ausgebleicht
und rostzerfressen, wehte das Gurren von Tauben und, als sie mit dem Wind
daran vorbeiritten, auch der Gestank ihres Kots.
    »Augen auf, Leute«, wiederholte Theo. »Machen
wir, dass wir schnell hier durchkommen.«
    Schweigend erreichten sie die Stadtmitte. Die
Gebäude hier waren größer. Sie hatten drei oder vier Geschosse, aber viele
waren eingestürzt, sodass Lücken entstanden waren und Berge von gleichförmigem
Schutt auf der Straße lagen. Autos und Lastwagen standen wild durcheinander am
Straßenrand, manche mit offenen Türen - der Augenblick, in dem der Fahrer die
Flucht ergriffen hatte, in der Zeit erstarrt -, aber in anderen,
eingeschlossen unter der sengenden Wüstensonne, lagen verdorrte Leichen.
»Slims« hießen sie: zerklüftete Knochenhaufen, über das Armaturenbrett
gekrümmt oder an die Fenster gepresst, verschrumpelte Umrisse, die als
menschliche Wesen nur noch an einem starren, immer noch mit einer Schleife
zusammengebundenen Haarbüschel erkennbar waren, vielleicht auch am glänzenden
Metall einer Armbanduhr an einer Knochenhand, die nach fast hundert Jahren
immer noch das Lenkrad eines Pick-ups umklammerte, der bis an die Radkästen im
Wüstenboden versunken war. Und das alles bewegungslos und still wie ein Grab,
alles so, wie es seit der Zeit Davor gewesen war.
    »Ich kriege Gänsehaut davon, Cousin«, sagte Arlo
leise. »Einfach nicht hinsehen, sage ich mir immer, aber dann tu ich's trotzdem
jedes Mal.«
    Als sie sich der Zufahrt zum Highway näherten,
blieb Alicia unvermittelt stehen. Sie wendete ihr Pferd, hob die Hand und kam
schnell zurück.
    »Drei Döser unter der Trasse. Sie hängen an den
Trägern an der Rückseite.«
    Theo nahm diese Nachricht mit ausdrucksloser
Miene auf. Das war anders als bei dem Viral, den sie an der Bergstraße
gesichtet hatten. Es kam nicht in Frage, sich mit einem ganzen Schwarm
anzulegen, schon gar nicht so spät am Tag.
    »Wir müssen einen weiten Bogen um sie machen und
die nächste Auffahrt nehmen, Lish. Einverstanden?«
    »Nichts dagegen. Dann los.«
    Sie wandten sich nach Osten und folgten dem
Highway in einem Abstand von hundert Metern. Die Sonne stand jetzt vier
Handbreit über dem Horizont; es wurde allmählich knapp. Im freien Gelände
würden sie mit dem Karren nur langsam vorankommen, und bis zur nächsten Rampe
waren es noch zwei Kilometer.
    »Ich geb's ungern zu«, sagte Theo leise zu
Peter. »Aber Lish hatte nicht unrecht. Auf dem Rückweg sollten wir ein
Jagdkommando aufstellen und diesen Schwarm hier ausschalten.«
    »Wenn sie dann noch da sind.«
    Theo legte die Stirn in Falten. »Oh, die werden
da sein. Ein einzelner Smoke, der Eichhörnchen jagt, ist eine Sache. Das hier
ist was anderes. Die wissen, dass wir diese Straße benutzen.«
    Was die Smokes wussten und was sie nicht
wussten, war immer die Frage. Waren sie reine Instinktwesen, oder konnten sie
denken? Konnten sie planen und Strategien entwickeln? Und wenn Letzteres
stimmte, folgte dann nicht daraus, dass sie in einem gewissen Sinn immer noch
Menschen waren? Die Menschen, die sie gewesen waren, bevor sie befallen

Weitere Kostenlose Bücher