Cronin, Justin
über
das schweißnasse Haar. Finn und Rey versorgten die Tiere, und die andern gingen
zur Eingangstür. Theo drehte noch einmal den Schlüssel herum. Mit metallischem klunk öffnete sich das Schloss, und sie traten ein.
Ein Schwall kühler Luft wehte ihnen entgegen,
und sie hörten das dumpfe Summen von Lüftungsventilatoren. Peter fröstelte in
der plötzlichen Kälte. Eine Glühbirne unter einem Drahtgitter beleuchtete die
Stahltreppe, die ins Kellergeschoss führte. Unten war eine zweite Tür, die
offen stand. Dahinter lag der Turbinenkontrollraum. Noch weiter hinten waren
Unterkünfte, eine Küche und Lagerkammern für Lebensmittel und Geräte. Dahinter
führte eine Rampe hinauf zu dem Stall, in dem sie Pferde und Maultiere in der
Nacht unterstellten.
»Jemand zu Hause?«, rief Theo und stieß die Tür
mit dem Fuß weiter auf. »Hallo?«
Keine Antwort.
»Theo ...«, sagte Alicia.
»Ich weiß«, sagte Theo. »Das ist komisch.«
Vorsichtig traten sie durch die Luke. Auf dem
langen Tisch in der Mitte des Kontrollraums lagen die Wachsfladen mehrerer abgebrannter
Bienenwachskerzen und die Überreste einer hastig beendeten Mahlzeit: Dosen
mit Brei, Teller mit Zwieback, ein fettglänzender gusseiserner Topf, der
anscheinend irgendein Fleischragout enthalten hatte. Alles sah aus, als sei es
seit mindestens einem Tag nicht mehr angerührt worden. Arlo wedelte mit seinem
Messer über dem Topf hin und her, und eine Wolke von Fliegen stob auseinander.
Trotz der summenden Ventilatoren war die Luft stickig, und es stank nach
Menschen und heißen Isolierungen. Das einzige Licht, ein blassgelbes Leuchten,
kam von den Anzeigen an der Kontrolltafel, mit denen der Stromfluss von den
Turbinen überwacht wurde. Darüber hing eine Uhr. Es war 18:45.
»Wo zum Teufel sind sie?«, fragte Alicia. »Ist
mir etwas entgangen, oder ist es gleich Zeit für die Zweite Glocke?«
Sie durchstöberten die Unterkünfte und die
Lagerräume und fanden bestätigt, was sie schon wussten: Der ganze Bunker war
leer. Sie stiegen die Treppe hinauf und traten hinaus in die Hitze des frühen
Abends. Rey und Finn erwarteten sie im Schatten des Blechdachs.
»Irgendeine Ahnung, wohin sie gegangen sein
könnten?«, fragte Theo die beiden.
Finn hatte sein Hemd ausgezogen und
zusammengeknüllt. Er tauchte es in den Wassertrog und wischte sich dann über
Brust und Achseln. »Einer der Werkzeugkarren fehlt. Und ein Maultier.« Er legte
den Kopf zur Seite, sah Rey an und dann wieder Theo, als wollte er sagen: So
sieht meine Theorie aus. »Sie könnten noch
draußen bei den Turbinen sein. Zander ist manchmal knapp dran.«
Zander Phillips war der Chef des Kraftwerks. Er
war nicht besonders gesprächig und übrigens auch nicht besonders ansehnlich.
Nach der langen Zeit hier draußen in Sonne und Wind war er verschrumpelt wie
eine Rosine, und das Leben in der Isolation hatte ihn schroff, ja beinahe
stumm gemacht. Angeblich hatte niemand je gehört, dass er auch nur fünf Worte
hintereinander gesprochen hatte.
»Wie knapp?«
Finn zuckte die Schultern. »Hey, das weiß ich
nicht. Frag ihn, wenn er zurückkommt.«
»Wer ist sonst noch hier unten?«
»Nur Caleb.«
Theo trat aus dem Schatten und spähte hinaus zum
Windpark. Die Sonne senkte sich inzwischen hinter den Berg, und bald würde sein
Schatten quer über das Tal bis hinüber zum Vorgebirge auf der anderen Seite
reichen. Wenn es so weit wäre, würden sie die Türen verschließen müssen; daran
war nicht zu rütteln. Caleb Jones war fast noch ein Kind, gerade mal fünfzehn
Jahre alt, und wegen seiner Vorliebe für knöchelhohe Sportschuhe nannten ihn
alle nur Hightop.
»Na, sie haben noch 'ne halbe Handbreit«, sagte
Theo schließlich. Alle wussten es, aber es musste trotzdem gesagt werden. Theo
sah nacheinander jeden an, um sich zu vergewissern, dass sie verstanden
hatten, was er meinte. »Bringen wir die Tiere hinein.«
Sie führten die Tiere über die hintere Rampe in
den Stall und verriegelten das Schott für die Nacht. Als sie damit fertig
waren, war die Sonne hinter dem Berg verschwunden. Peter ließ Arlo und Alicia
im Kontrollraum zurück und ging zu Theo, der am Tor wartete und das Turbinenfeld
mit dem Fernglas absuchte. Er spürte das erste Prickeln der Nachtkälte an
seinen Armen und an der sonnenverbrannten Haut im Nacken. Mund und Kehle waren
wieder trocken, und der Geschmack von Staub und Pferden lag auf seiner Zunge.
»Wie lange warten wir noch?«
Theo antwortete nicht. Es war eine
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