Cronin, Justin
nimmt ihn mit nach Hause, macht ihm
ein Sandwich, telefoniert ein bisschen herum und findet eine Bleibe für ihn,
irgendeine Wohngruppe, für die sie Spenden sammelt. Dann ruft sie alle ihre
Freunde in River Oaks an und sagt: >Lasst uns diesem Mann helfen. Habt ihr
irgendetwas für ihn zu tun?< Sie wird plötzlich zur Pfadfinderin und
trommelt ihre Truppe zusammen. Und der Kerl fängt überall an, Rasen zu mähen,
Hecken zu schneiden, wissen Sie, all das Zeug, das bei diesen großen Häusern
getan werden muss. Das geht ungefähr zwei Jahre so. Alles läuft bestens, bis
unser Mann Anthony eines Tages aufkreuzt, um den Rasen zu mähen, und eins der
kleinen Mädchen ist nicht in der Schule, sondern zu Hause, weil sie krank ist.
Sie ist fünf. Mom hängt am Telefon oder macht irgendwas anderes, und die Kleine
geht raus in den Garten und sieht Anthony. Sie weiß, wer er ist, sie hat ihn
schon oft gesehen, doch diesmal geht irgendetwas schief. Er macht ihr Angst.
Hier steht irgendwas darüber, dass er sie vielleicht angefasst hat, aber der
psychiatrische Gutachter hat seine Zweifel. Jedenfalls fängt das Mädchen an zu
schreien. Mom kommt aus dem Haus gerannt, sie schreit auch, alle schreien, und
plötzlich ist es wie ein Schreiwettbewerb, eine gottverdammte
Kreisch-Olympiade. Gerade war er noch der nette Mann, der immer pünktlich
kommt, um den Rasen zu mähen, und plötzlich ist er bloß noch ein schwarzer
Penner, der sich an das Kind ranmacht. Und schon ist Schluss mit der
Mutter-Teresa-Scheiße. Man wird handgreiflich. Es kommt zu einer Rangelei.
Irgendwie fällt Mom in den Pool, oder sie wird reingeschubst. Anthony springt
hinterher, vielleicht um ihr zu helfen, aber sie schreit ihn immer noch an und
wehrt sich. Jetzt sind alle nass und schreien und schlagen um sich.« Doyle sah
ihn mit hochgezogenen Brauen an. »Wissen Sie, wie es endet?«
»Er ertränkt sie.«
»Bingo. An Ort und Stelle, vor den Augen des
kleinen Mädchens. Eine Nachbarin hat alles gehört und ruft die Polizei, und als
die eintrifft, sitzt er immer noch am Rand des Swimmingpools, und die Lady
liegt drin.« Er schüttelte den Kopf. »Kein schönes Bild.«
Manchmal beunruhigte es Wolgast, wie viel
Energie Doyle in diese Geschichten steckte. »Kann es ein Unfall gewesen sein?«
»Das Opfer war zufällig früher im Schwimmteam
der Southern Methodist University. Schwamm immer noch jeden Morgen fünfzig Runden.
Aus dieser Kleinigkeit hat der Staatsanwalt eine Menge Kapital geschlagen.
Daraus und aus der Tatsache, dass Carter praktisch zugab, sie umgebracht zu
haben.«
»Was hat er gesagt, als er festgenommen wurde?«
Doyle zuckte die Achseln. »Er habe nur gewollt,
dass sie aufhörte zu schreien. Und dann bat er um ein Glas Eistee.«
Wolgast schüttelte den Kopf. Die Geschichten
waren immer schlimm, aber was ihm an die Nieren ging, waren die kleinen
Details. Ein Glas Eistee. Gütiger Himmel. »Wie alt ist er, sagten Sie?«
Doyle blätterte zwei Seiten zurück. »Habe ich
nicht gesagt. Zweiunddreißig. Achtundzwanzig bei der Festnahme. Und jetzt
kommt's. Überhaupt keine Verwandten. Der Letzte, der ihn in Polunsky besucht
hat, war der Ehemann des Opfers, vor etwas mehr als zwei Jahren. Carters Anwalt
ist nicht mehr in Texas. Er zog fort, als der Revisionsantrag abgelehnt worden
war. Carter wurde jemand anderem im Harris County Police Department zugewiesen,
aber die haben nicht mal die Akte aufgeklappt. Mit einem Wort: Keiner schert
sich drum. Anthony Carter bekommt am zweiten Juni die Giftspritze wegen
vorsätzlichen Mordes, und kein Mensch auf Erden interessiert sich dafür. Der
Kerl ist jetzt schon ein Geist.«
Die Fahrt nach Livingston dauerte anderthalb
Stunden. Die letzten dreißig Minuten von Huntsville nach Osten fuhren sie auf
einer schmalen Landstraße durch schattige Kiefernwälder und offenes, mit
Lupinen übersätes Präriegelände. Es war gerade erst Mittag. Mit etwas Glück,
dachte Wolgast, könnten sie bis zum Abendessen mit allem fertig sein. Dann
hätten sie noch genug Zeit, um nach Houston zurückzufahren, den Leihwagen
abzugeben und einen Flug nach Colorado zu erwischen. Es war besser, wenn diese
Trips schnell erledigt waren. Wenn der Mann herumdruckste und die Sache in die
Länge zog - obwohl jeder am Ende bislang noch auf den Deal eingegangen war -,
fing Wolgast an, bei der ganzen Geschichte ein mulmiges Gefühl in der
Magengrube zu bekommen. Er musste dann immer an ein Stück denken, dass er auf
der Highschool gelesen hatte,
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