Cronin, Justin
Augen waren
voller Tränen. »O Scheiße«, sagte er und zuckte ein paarmal mit den Wimpern.
»Sara, tu was!«
Der Tod ließ das Gesicht des Jungen langsam
erschlaffen. »Oh«, sagte er. »Oh.« Dann schien etwas in seiner Brust stecken
zu bleiben, und er war still.
Sara weinte wie alle andern. Sie kniete sich
neben Alicia auf den Boden und berührte ihren Ellenbogen. »Er ist tot, Lish.«
Alicia schüttelte sie ab. »Sag das nicht!« Sie
zog die leblose Gestalt an die Brust. »Caleb, hör mir zu! Du machst jetzt die
Augen auf! Du machst sofort die Augen auf!«
Peter kam zu ihr.
»Ich hab versprochen, auf ihn aufzupassen«,
stöhnte Alicia und presste den Jungen an sich. »Ich hab's ihm doch
versprochen.«
»Ich weiß.« Etwas anderes fiel ihm nicht ein.
»Dich trifft keine Schuld. Lass ihn jetzt los.«
Peter nahm ihr den Leichnam behutsam aus den
Armen. Calebs Augen waren geschlossen, und er lag regungslos auf der staubigen
Erde. Er trug immer noch seine gelben Sneakers - der eine Schnürsenkel war
offen -, aber der Junge, der er gewesen war, war fort. Caleb gab es nicht mehr.
Lange Zeit sagte niemand etwas. Man hörte nur die Vögel und das Rascheln des
Grases im Wind und Alicias tränenfeuchtes, halb ersticktes Schluchzen.
Dann plötzlich sprang Alicia auf, raffte Judes
Pistole vom Boden an sich und ging mit schnellen Schritten auf Olson zu, der
immer noch auf dem Boden hockte. In ihren Augen loderte die Wut. Die Waffe war
ein schwerer Revolver mit langem Lauf. Als Olson den Kopf hob und zu der
dunklen Gestalt aufblickte, die ihn überschattete, schlug sie ihm mit dem
Kolben der Waffe ins Gesicht. Er kippte um, und sie spannte den Hahn mit dem
Daumen und richtete den Revolver auf seinen Kopf.
»Fahr zur Hölle!«
»Lish ...« Peter sprang mit erhobenen Händen auf
sie zu. »Er hat Caleb nicht umgebracht! Nimm den Revolver weg!«
»Wir haben Jude sterben sehen! Wir haben es alle
gesehen!«
Blut rann aus Olsons Nase. Er versuchte nicht,
sich zu wehren oder zurückzuweichen. »Er war ein Vertrauter.«
»Ein Vertrauter? Was soll das heißen? Ich habe
dein nichtssagendes Geschwätz satt. Komm endlich zum Punkt, verdammt noch mal!«
Olson schluckte und leckte sich das Blut von den
Lippen. »Es soll heißen ... man kann einer von ihnen sein, ohne einer von
ihnen zu sein.«
Alicias Fingerknöchel färbten sich weiß, so fest
umklammerte sie den Revolver. Peter wusste, sie würde abdrücken. Es war
unaufhaltsam, es würde einfach passieren.
»Na los, schieß, wenn du willst.« Olsons Blick
war leidenschaftslos. Sein Leben bedeutete ihm nichts. »Es ist sowieso egal.
Babcock wird kommen. Ihr werdet schon sehen.«
Jetzt zitterte der Lauf in der Strömung ihrer
Wut. »Caleb war mir nicht egal! Er war mehr wert als euer ganzer beschissener
Hafen! Er hatte niemanden im Leben. Ich war für ihn da! Ich habe mich um ihn
gekümmert!«
Alicias Heulen war ein tiefer, animalischer
Schmerzenslaut, und dann drückte sie ab - aber kein Schuss fiel. Der
Schlagbolzen klickte auf einer leeren Kammer. »Fuck!« Wieder und wieder drückte sie ab, aber die Waffe war leer. »Fuck!
Fuck! Fuck!« Dann drehte sie sich zu Peter um, die nutzlose
Waffe fiel ihr aus der Hand, und sie lehnte sich schluchzend an seine Brust.
Am nächsten Morgen war Olson verschwunden. Seine
Spuren führten zu einem Wasserlauf. Peter brauchte nicht dorthin zu gehen, er
wusste auch so, was geschehen war.
»Sollen wir ihn suchen?«, fragte Sara.
Sie standen vor der leeren Lok und packten ihre
letzten Sachen zusammen.
Peter schüttelte den Kopf. »Ich glaube, das hat
keinen Sinn.« Sie versammelten sich dort, wo sie Caleb begraben hatten, im
Schatten einer Pappel. Sie hatten die Stelle mit einem Stück Blech markiert, das
Michael aus der Lokverkleidung gebrochen hatte. Mit der Spitze eines
Schraubenziehers hatte er den Namen und die restlichen Worte hineingeritzt und
die Platte dann mit Stahlschrauben am Baum befestigt.
CALEB JONES HIGHTOP EINER VON
UNS
Alle waren da, nur Amy nicht. Sie stand abseits
im hohen Gras. Maus und Theo standen neben Peter. Mausami stützte sich auf eine
Krücke, die Michael ihr aus einem Stahlrohr gemacht hatte. Sara hatte die Wunde
noch einmal untersucht und gesagt, sie sei marschfähig, solange sie es nicht
übertrieben. Theo hatte die ganze Nacht durchgeschlafen und war im Morgengrauen
aufgewacht. Er war vielleicht noch nicht wieder auf dem Damm, aber doch auf dem
Wege der Besserung. Aber als Peter jetzt
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