Cronin, Justin
Wenn
ihr sie gefunden habt, bringt sie her.
Er vermisste Theo weniger, als er erwartet
hatte. Wie der Hafen und alles, was davor passiert war - einschließlich der
Kolonie -, schien der Gedanke an seinen Bruder in den Hintergrund zu treten,
verdrängt von dem Wunsch, weiterzukommen. Er war verschwunden wie die Straße,
die von Gras überwuchert war. An jenem Abend, als Theo und Maus sie alle
zusammengerufen und ihnen ihre Entscheidung eröffnet hatten, war Peter zuerst
wütend gewesen. Doch im selben Augenblick hatte er gewusst, dass sein Zorn irrational
war; es war offensichtlich, dass Maus nicht weitergehen konnte. Peter wollte
nur nicht, dass sein Bruder ihn so schnell wieder verließ. Aber Theo hatte
recht.
Im Laufe der letzten Tage hatte er hinter der
Entscheidung seines Bruders allerdings noch eine tiefere Wahrheit erkannt. Es
war ihnen bestimmt, dass ihre Wege sich wieder trennten, denn ihr Anliegen war
nicht dasselbe. Theo schien ihre Geschichte über Amy nicht anzuzweifeln;
zumindest hatte er nichts gesagt, was Peter so hätte deuten können. Aber in der
Art, wie sein Bruder sich darauf eingelassen hatte, war eine gewisse
Gleichgültigkeit spürbar gewesen: Amy bedeutete ihm nichts oder nur sehr wenig.
Allenfalls schien er ein bisschen Angst vor ihr zu haben. Es war klar, dass er
nur deshalb überhaupt so weit mitgekommen war, weil die andern diesen Weg
gehen wollten. Bei der ersten Gelegenheit, und mit Rücksicht auf Mausamis
Schwangerschaft, hatte er sofort aufgegeben. Aus egoistischen Gründen hätte
Peter sich mehr gewünscht, und sei es nur, dass Theo beim Abschied ein wenig
traurig gewesen wäre. Aber das war er nicht. Als die sechs losgegangen waren,
hatte Peter sich noch einmal umgedreht, um zu sehen, wie Theo und Mausami ihnen
nachschauten. Eine Kleinigkeit - aber für Peter wäre es wichtig gewesen, dass
Theo auf der Veranda stehen blieb und wartete, bis sie außer Sicht waren. Doch
sein Bruder war bereits verschwunden. Nur Mausami war noch da.
Als die Sonne hoch am Himmel stand, machten sie
halt, um sich auszuruhen. Die Berge waren jetzt deutlich zu sehen, eine
zerklüftete Masse am östlichen Horizont, die Gipfel weiß bemützt. Es war noch
einmal warm geworden, so warm, dass sie schwitzten, aber dort oben, wo sie
hinwollten, war der Winter schon angekommen. »Hat wieder geschneit«, sagte Hollis.
Er saß neben Peter auf einem umgestürzten
Baumstamm, dessen vermoderte Rinde schwarz von Feuchtigkeit war. Seit
mindestens einer Stunde hatte niemand mehr ein Wort gesagt. Die andern hatten
sich ringsum verteilt; nur Alicia war losgezogen, um das Gelände zu erkunden.
Mit seinem Messer öffnete Hollis eine Dose und löffelte sich den Inhalt,
irgendein geschnetzeltes Fleisch, in den Mund. Ein Stück davon war in seinem
struppig verfilzten Bart hängen geblieben; er wischte es ab, trank mit
hüpfendem Adamsapfel in tiefen Zügen aus seiner Wasserflasche und reichte
Peter die Dose.
Peter nahm sie und aß. Sara saß ihm gegenüber an
einen Baum gelehnt und schrieb in ihr Buch. Sie hielt inne und starrte
konzentriert auf das, was sie geschrieben hatte. Ihr Bleistift war nur ein
Stummel, so kurz, dass sie ihn fast nicht halten konnte. Sie zog ihr Messer aus
dem Gürtel, schabte die Spitze ab und nahm dann ihre geduldige Kritzelei wieder
auf.
»Was schreibst du da?«, fragte Peter.
Sara zuckte die Achseln und strich sich eine
Haarsträhne hinter das Ohr. »Über den Schnee. Was wir gegessen haben, wo wir
geschlafen haben.« Sie hob das Gesicht und blinzelte in das Sonnenlicht, das
zwischen den nassen Ästen herabfiel. »Wie schön es hier ist.«
Er merkte, dass er lächelte. Wann hatte er
zuletzt gelächelt?
»Ja, das ist es wohl.«
Auch Sara wirkte verändert, seit sie die Farm
verlassen hatten, fand Peter. Sie war ruhig und gelassen, als habe sie eine
Entscheidung getroffen und sich damit tiefer in sich selbst zurückgezogen, in
einen Zustand jenseits von Sorge oder Angst. Er verspürte leise Reue. Als er
sie jetzt so sah, erkannte er, wie dumm er gewesen war. Ihr Haar war lang und
verfilzt, ihr Gesicht und die bloßen Arme starrten vor Schmutz, und sie hatte
schwarze Ränder unter den Fingernägeln. Trotzdem hatte sie niemals schöner
ausgesehen - als sei alles, was sie erlebt hatte, ein Teil von ihr geworden,
der sie mit leuchtender Stille erfüllte. Es war keine Kleinigkeit, jemanden zu
lieben. Dieses Geschenk hatte sie ihm angeboten, immer schon. Aber er hatte es
zurückgewiesen.
Sie merkte,
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